In der Nacht hat der sich der Spalt über den Worten geschlossen und sie unter frisch aufgeworfener Erde begraben.
Wer sich der Erde nähert, hört sie noch wispern. Die Wolken lösen sich auf und verregnen den Tag. Es verschwimmen die Worte, die neugierig nach außen schlüpfen. Kleine Rinnsale und Kanäle schlängeln sich durch die braunen Felder, Gedanken tauchen auf und ab, fließen.
Wie gut die Erde riecht.
lasst uns schweigen, Liebste. Diese Zeit lebt ohne Worte und lässt der Sprache Raum. Im Stillwerden spüren wir den Dingen auf den Grund, fühlen ihr Sein, entwickeln und richten uns neu.
Bis der Regen zu Schnee wird, lasst uns die Worte meiden, Liebste. Manchmal führen sie nur weg von uns. Im Atmen der Welt liegt Größe, und wir sind Teil von ihr.
Worte
Auf der Suche nach Schnee 1
Nicht die Nacht hatte dem Tag meine Worte gestohlen. Kein Wind entführte meine Lieder in ein anderes Land. In der blauen Stunde zwischen Tag und Nacht hatte sich ein Trichter geöffnet. Alles schlitterten hinein, Worte, Töne und Klänge, als sei eine Rutschpartie angesagt.
Es ging schnell. Kaum schmeckte ich den Beerengeschmack der Worte im Mund, schon sprudelten sie perlend über die Lippen in den dunklen Trichter hinein. Lautlosigkeit und das Verstummen der Zeit ließen mich erstarren.
In dieser Bewegungslosigkeit war mir, als sei ich ein Baum im Winterwald. Der Gedanke daran, wo die Sprache geblieben war, verflüchtigte sich über Wurzeln und Zweige und mischte sich mit dem Atem der Zeit. Da blieb Fühlen nur und Spüren.
am see
ich lese im letzten licht
und zähle fallende blätter
das weiche moos liegt grün und still
in einen hohlen stamm
hat jemand dein zeichen gemalt
der wind weht worte übers wasser
in der hecke wispern stimmen
für „Der Dienstag dichtet“
FINDELKIND
Ich bin ein Findelkind. Das zu denken gelingt mir nicht, denn ich kenne keine Worte. Die meiste Zeit schlafe ich. Wenn ich wach bin habe ich Angst. Es ist kalt und laut. Die Leere in meinem Bauch nagt an mir, frisst mich auf. Ich schreie, bis ich wieder eingeschlafen bin. Ich bin noch nicht lange auf dieser Welt, wie soll ich Worte da kennen; wie beschreiben können, wo ich bin und was passiert? Ich nehme den Daumen in den Mund und nuckel ihn wund. Da ist eine vage Erinnerung an etwas Warmes, von dem ich Teil war, und der jetzt nicht mehr da ist. Die Stimmen, die ich höre, sind fremd.
Und dann ist da plötzlich etwas Neues, etwas Warmes, das mich für einen Augenblick lang in die Arme nimmt und tröstet. Gleich fühle ich mich besser. Mir wird warm. Das nagende Gefühl in meinem Bauch bleibt. Ich öffne die Augen und schaue in ein unbekanntes Gesicht. Zusammengekrümmt liegt es neben mir und schreit. Wenn ich wachsen darf, werde ich wissen, dass die fremden Geräusche das Wogen der Wellen, der Sturm und das Möwengeschrei eine andere Art von Lied sind. Ich werde wissen, dass dieses warme Etwas neben mir sich ins Leben zu schreien versucht, wie ich. Wir sind beide klein und hilflos. Ausgeliefert! Aus der Not geborene Zwillinge, die im Boot aus Binsen auf Nahrung warten und auf menschliche Wärme; ein schützendes Dach erhoffen und liebevolle Hände, die zärtlich berühren.
Später, wenn ich gewachsen bin, werde ich diese Worte kennen. Wo ich herkomme? Von Nirgendwo! Ich bin der Anfang einer Geschichte, deren Beginn im Nebel der Vergangenheit verschwunden ist. Es wird mein Schicksal sein, ein Suchender zu bleiben.
Festgenagelt
Es ist früh am Abend und dämmert bereits. Durch das geöffnete Fenster weht der Wind herein und bewegt die Gardinen, die dich nicht vor meinem Blick verstecken können.
Du hast heute lange am Schreibtisch gesessen, Emails gelesen und in Texten gestöbert, ein bisschen in Foren geschrieben, Bilder angeschaut. Hin und wieder hast du die Stirn gerunzelt, so als habe dir jemand über das Internet Verwerfliches und Ungestümes oder Unerwartetes zu geflüstert. Du hebst den Blick, schaust hinaus aus dem Fenster ohne zu sehen, lauscht dem Rascheln der Herbstblätter im Ahorn. Wenig später, du hast den Kopf wieder gesenkt, huscht ein Lächeln über dein altes Gesicht.
Bestimmt liest du gerade meine Zeilen und ahnst von dem, was ich dir auf keinem Fall verraten werde. Vielleicht aber liest du auch die herzerwärmenden Zeilen einer anderen Frau, die du sanft und zärtlich mit deinen Worten eingefangen hast und die dir jetzt zu Füßen liegt.
Langsam stehst du auf. Die Beine sind steif geworden, der untere Rücken schmerzt. Du drückst den Rücken durch, weitest die Brust und legst die Handaußenflächen in die Nierengegend. Mit ein paar tiefen Atemzügen trotzt du dem Schmerz. Die warmen Hände entspannen den Rücken. Noch ein tiefer Atemzug, der sich beinahe wie ein Seufzer anhört, dann drehst du dich um, richtest den Blick auf die Landkarte, die da vor dir an der Wand hängt und auf der bunte Nagelköpfe ein Muster hinterlassen haben, an manchen Stellen dicht gedrängt, an anderen weit gestreut.
Auf einem hellen Kiefernschränkchen daneben steht die Blechdose mit den Nägelchen. Bedächtig wählst du eines mit blassblauen Kopf. Du suchst eine Stelle auf der Landkarte und stichst zu. Jetzt ist es fest genagelt und aufgesspießt.
Was in dir vorgeht, spiegelt sich in deinem Gesicht: einerseits spürst du Triumph, denn wieder hast du es geschafft, eine mit Worten in dich verliebt zu machen. Andererseits will der schale Geschmack im Mund nicht weichen.
Immer folgt es dem gleichen Muster, du weißt es längst, nichts Überraschendes geschieht. Nicht einmal, wie es enden wird bleibt ungewiss.
Dabei wünschtest du dir immer nur eines, dass da eine kommt, die dich mütterlich in die Arme nimmt und mit bedingungsloser Liebe deine Wunden heilt.
Und käme da wirklich eine, die ernst macht, mit dem was du wünscht, du würdest es nicht aushalten können und sie in Stücke zerreißen müssen.
In Gedanken…
Liebe, mir unbekannt gewordene Freundin,
jetzt wo der Schnee fällt und alles Harte und Schmutzige versteckt, denke ich an dich, frage mich, in welcher Welt, fern von mir du inzwischen unterwegs bist? Ich vermisse dich. Ja, ich hätte wieder telefonieren können, aber mir sind die Worte ausgegangen – eher eingefroren, erstarrt – die mir hätten helfen sollen, die Brücke zwischen uns zu restaurieren. Wie mag sich dein Leben anfühlen, allein und gefangen zwischen Funktionalität, schwarzen Gedanken und schlaflosen Nächten? So wie es gerade hier in Köln schneit, kann ich mir vorstellen, dass du schon fast eingeschneit bist. Mein Gedanken an dich sind durchzogen von Liebe und Segen. Möge der Schnee deine dunklen Gedanken heller und freundlicher machen, und dir mit seiner Stille die Ruhe schenken, die dir hilft zu überleben, deine Lichtbringerin
Bin ich traurig? Nein, eher melancholisch und in Gedanken an all das, was möglich gewesen wäre, aber nicht möglich wurde.
Wenn ich dir das Licht gebracht habe, dann hast du mich – ganz sicher – daran erinnert, dass alles Dunkle deutlich wird und ebenso machtvoll ist.

Selbstbildnis 6
ZEICHEN OHNE WORTE
In der Nacht habe ich von dir geträumt. Es hat an meiner Haustür geklopft, und ich habe geöffnet. Es war Tag und die Sonne schien. Ein paar Schäfchenwolken blieben an der Hecke hängen.Da standest du und hast mich angeschaut ohne etwas zu sagen. So richtig fassbar warst du nicht, eher ein sich in Auflösung befindlicher Geist. Nicht unästhetisch, so wie eine Wolke, die sich auflöst und dabei ihre Konturen verliert und langsam vom Himmel verschluckt wird. Du warst da! Ich fühle mich gesehen und verstanden. Es hat mir gut getan, mich aufgerichtet und mir Mut eingeflöst, ganz und gar ohne Worte. Und das war, was ich brauchte. Beim Aufwachen, war alles Schwere von mir abgefallen,wie ein altes, viel zu weites Kleid, das verschlissen und notdürftig geflickt nicht mehr passt und dringend der neuen Haut weichen muss. sie
Miß-Verhältnis
Er war ihr Turm, der sichere Hafen, ein Fels in der Brandung. Sie wollte es so, damals, fühlte sich selbst so klein und schwach. Der Turm war groß, schön, stark. Sie knipste ein Bild von ihm und hielt daran fest. So sollte es bleiben für immer und ewig, mindestens ein Leben lang. Sie merkte nicht, wie sie wuchs und wuchs, erstarkte, wie ein Baum mit Verästelungen, die den Turm umschlangen, ihn einengten, begrenzten, hielten. Hinter dem Netz aus Lianen bröckelte der Putz. Sie kittete hier, stabilisierte da, goss Lebensenergie ins Fundament. Doch er wankte. In tausend Stücke zerbrach der Turm. Fast zu spät zog sie ihre Fangarme zurück. Sie torkelte, verlor den Boden unter den Füßen für eine Weile.
Die Arme, die sich sehnten zu umfangen, zu stützen und zu halten, blieben leer und in die Leere der Tage nahm Stille Platz. Einatmen, ausatmen, nichts, lange nichts.
Während sie sich selbst umfing, und sich der nährenden Stille anvertraute, bis das Draußen wieder an ihre Ohren drang, sie den Wind spürte, die Sonne, den Alltagslärm hörte und ihre eigenen Wort, die aus der Stille wuchsen.
Es waren die Worte, die erlaubten, die Bruchstücke aufzusammeln und neu zusammen zu setzen, bis der Turm wieder stand- nicht mehr so stark, alt geworden, mit Rissen und Rillen- Abstand haltend, sich selbst liebkosend, wieder bewusst der eigenen Kraft. Frei!
Der Nacht geschenkt 6
Lichtblicke
eingefangen für einen Augenblick
in dem es still wird und die Worte schweigen
manchmal nur
möchte ich deine Stimme wieder hören
in Klang und Dichte
Schwingung spüren und Resonanz
So erinnere ich mich an dich, und freue mich darüber, dass ich hier überall Stimmen höre-andere zwar-aber auch sie Schwingung und Resonanz. Dass ich dafür wieder offen bin, das will mir beinahe wie ein Wunder erscheinen.
Ruhe in Frieden. Unsere Lichtblicke bleiben unvergesslich.