Storrytelling und die magische Begleitung 10

Trau dich…es gibt nichts zu verlieren 5

Die gelb-blaue Tür (2)

Sie sprang ab und schaute noch einmal zurück. Ihren Augen traute sie noch immer nicht. In welche Welt hatte sie die letzte Tür geführt und warum? In welcher Geschichte war ausgerechnet sie gestrandet, sie , die oft zauderte und zögerte und sich nicht entscheiden konnte? Eine scheinbar von allen gute Geistern verlassene Stadt, über der Rauchfahnen aus Staub das Blau des Vorfrühlingstages vergraut  hatten, mit Ruinen, Wracks, den abgeknickten Antennen und verkohlten Bäumen lag hinter ihr. Eine menschenleere Stadt, in der unförmige, gummiartige Wesen alles Lebendige zu verschlingen drohten. Ilya war sich in diesem Augenblick nicht mehr sicher, diese Wesen tatsächlich erlebt zu haben. Sie erinnerte die Panik und das Entsetzen, das von ihr Besitz ergriffen hatte, aber dann war plötzlich alles vorbei, Hilda sei Dank. Aber wo waren die Menschen geblieben, die dort gelebt hatten oder noch lebten? Auf der blitzartigen Flucht, hatte Ilya nicht mehr darauf achten können, ob es Überlebende gab.

Auf keinen Fall wollte Ilya zurück an diesen Ort. Noch stand sie neben sich, ohnmächtig, kaum fähig, einen klaren Gedanken fassen. An dem, was in dieser Stadt geschehen war, konnte sie im Augenblick nichts ändern. Hinschauen, es aushalten und fotografisch abspeichern, um Zeuge zu sein, irgendwann, das fiel schon schwer genug.  

In diesem Augenblick spürte sie, wie etwas in ihren Rücken piekte. Eine Stimme flüsterte: „ Nimm mich heraus, und stecke mich in die Wiese. Hier ist der richtige Platz.“ Es war der Reiser, den sie vor Ewigkeiten in einem sturmgepeitschten Wald gebrochen hatte. Dass er nun zu ihr sprach und sie an das Versprechen erinnerte, dass sie dem sterbenden Baum Katalani gegeben hatte, wunderte sie nicht, denn Ilya war in einem Märchen gefangen. Oder war alles ein nicht endender Albtraum? Immerhin und das tröstete sie, gingen Märchen meistens gut aus.  So nahm Ilya den Reiser aus dem Rucksack, erzählte ihm von der sterbenden Katalani, die eine der letzten ihrer Art gewesen war und steckte ihn in die Wiese. Sofort begann der Reiser zu wachsen. Er entwickelte Zweige und Äste. Wie von Zauberhand gemalt erschienen zarte Blattknospen, die sich öffneten und mit Frühlingsgrün Hoffnung schenkten. Schnell war der junge Baum Ilya über den Kopf gewachsen. Aus großen apfelbaumähnlichen Blüten, weiß mit rosa Herz, wuchsen leuchtend gelbe Früchte, die so süß dufteten, dass Ilya das Wasser im Munde zusammenlief und  kosten musste. Wie eine Göttergabe mundeten die Früchte, nährten gleichermaßen Körper und Seele. Unter den Wurzeln des jungen Baumes begann ein Rinnsal zu fließen.  Es wurde schnell breiter und war bald ein kleiner Bach, der sich der Ruinenstadt entgegen schlängelt. Im jungen Baum raunte es: „ Ich weiß, dass meine Mutter Katalani heißt. Ihr Name ist in meine Baumseele eingeritzt. Und auch die Botschaft, die ich dir als Aufgabe weitergeben soll: breche von mir einen neuen Reiser, folge dem Bach, pflanze ihn daneben in die Erde. Wir wachsen schnell.“
Ilya brach den Reiser vorsichtig vom jungen Baum und folgte dem Bach. „Danke, dass du hilfst, uns wachsen zu lassen, wo auch immer Menschen in Not sind und ein grünes Hoffnungszeichen brauchen. Hilda sei mit dir.“ rief der junge Baumsprössling hinter ihr her.

Reiser für Reiser setzte Ilya neben dem Bach in die Erde und sah zu, wie unter ihren Händen nach und nach ein junger, grüner Wald heranwuchs. Kohlmeisen, Spatzen und ein Rotkehlchen leisteten ihr bereits Gesellschaft. Die Arbeit ging leicht von der Hand. Es fühlte sich an, wie auf Wolken spazieren gehen. Alles Schwere fiel nach und nach von ihr ab. Leichtigkeit und Freude erfüllte sie, während sie Vogelgezwitscher und das üppige Grün genoss. Ilya vergaß sich selbst und die Zeit.  Sie war so vertieft in ihr Tun, dass sie nicht bemerkte, dass plötzlich eine Frau mit einem Kind neben ihr stand.

23.9.20

Bäume, meine Freunde
lange nicht beachtet halten sie Stand
Ich grüße sie von Weitem
und verspreche, sie zu besuchen
schon bald
Als ich Kind war, sah ich die ersten bewusst
vom Bus aus, der mich zur Schule fuhr
hinter ihnen der Rhein
Sie strotzten vor Kraft
da war das Paar, einander zugeneigt
der eine rundlich und wolkenförmig
der andere groß und schmal
Sie standen dicht bei einander
und mochten sich sehr
sie ließen einander Platz zum Wachsen und Werden
und es gab die drei,
die Frauen glichen mit wehenden Haaren
die zu lachen und zu tuscheln schienen
und viele mehr
Damals vor fünfzig  Jahren
gab ich ihnen keine Namen
das kam erst später
bei den vielen Lieblingsbäumen in meiner Nähe
Als ich die alten heute sah, erblickte ich ihren Verfall
sie sind nicht mehr so stark und doch halten sie Stand
dem Klima, dem Wetter, dem  Wind
und stützen einander so gut es geht
altersschwach werden sie noch leben, wenn ich nicht mehr bin

Miß-Verhältnis

Er war ihr Turm, der sichere Hafen, ein Fels in der Brandung. Sie wollte es so, damals, fühlte sich selbst so klein und schwach. Der Turm war groß, schön, stark. Sie knipste ein Bild von ihm und hielt daran fest. So sollte es bleiben für immer und ewig, mindestens ein Leben lang. Sie merkte nicht, wie sie wuchs und wuchs, erstarkte, wie ein Baum mit Verästelungen, die den Turm umschlangen, ihn einengten, begrenzten, hielten. Hinter dem Netz aus  Lianen bröckelte der Putz. Sie kittete hier, stabilisierte da, goss Lebensenergie ins Fundament. Doch er wankte. In tausend Stücke zerbrach der Turm. Fast zu spät zog sie ihre Fangarme zurück. Sie torkelte, verlor den Boden unter den Füßen für eine Weile.

Die Arme, die sich sehnten zu umfangen, zu stützen und zu halten, blieben leer und in die Leere der Tage nahm Stille Platz. Einatmen, ausatmen, nichts, lange nichts.

Während sie sich selbst umfing, und sich der nährenden Stille anvertraute, bis das Draußen wieder an ihre Ohren drang, sie den Wind spürte, die Sonne, den Alltagslärm hörte und ihre eigenen Wort, die aus der Stille wuchsen.

Es waren die Worte, die erlaubten, die Bruchstücke aufzusammeln und neu zusammen zu setzen, bis der Turm wieder stand- nicht mehr so stark, alt geworden, mit Rissen und Rillen- Abstand haltend, sich selbst liebkosend, wieder bewusst der eigenen Kraft. Frei!

FRÜHLING, VERMISST

REGENGRAU
fällt Nacht in den Tag
unter zerwehten Blütenblättern duckt sich GRÜN
das hoffnungsfrohe Erwartungsvolle

ROTE Tulpenblätter
verstreut und verblüht

in den Wolken kämpft die Natur um Zeit
die verrinnt
verinnt, verrinnt
und den Frühling verbannt

den wir vermissen mit dem BLAUEN Band
das uns einbindet
weil aufgehen soll die Saat
die in uns schon keimt

Sähen, Keimen
Wachsen, Ernten
im Kreislauf eines Jahres