Wurzeln 9

Vom Verbundensein (1)


Wer kann schon sagen, was zuerst da war: das Wort oder der
Gedanke. Was wirkt in mir – in dir? Sind wir nicht Wellen im
großen Meer – miteinander verbunden ? Was wirkt wo und wie auf
wen ein? Ich kann mich nicht entziehen, solange ich lebe und
meine Sinne intakt sind.
Ein Ton – ein Klang – ein Duft – eine Farbe – ein Hauch !
Alles kann Auslöser sein für Gedanken im Kopf und
transzendierend neue Wortwelten schaffen – vielleicht schon oft
benutzt, aber auch wieder anders, weil sie zu neuen Sätzen
zusammenwachsen, einen anderen Sinn vermitteln. Wer hat was
zuerst gedacht – du oder ich? Die Wellen im Ozean haben keinen
Anfang, kein Ende – sind ewig. Was, im Angesicht des Meeres ist
schon Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft?
Das Dazwischen ist das Spannende – das was sich in den
Wellentälern tauscht, vermittelt – sich nicht von einander trennen
lässt auf den Wellenbergen, weil alles fließt und sich neu formiert,
wie im Wind der Sand in den Wüsten.
Was lese ich zwischen Zeilen – ist was ich spüre wahr oder drängt
sich hinein, was für mich wahr sein soll? Wer entscheidet und
definiert, wer urteilt und richtet darüber?

LICHT

und ich umfange mich
hülle mich ein in weißes licht
bis innen und außen
klang und einzig schwingung ist
die schale hält den klang
der sich spiralförmig windet
und körper und seele erklingen lässt
bis ich selbst die schale bin
für heilende, schwingende essenz
das flackern der kerze
ist darin und der ton
der das leise knistern ihr schenkt

Der entschwundene Ton 1

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Plötzlich, mitten im Lied, ist er entgeistert davon geflogen, panisch. Der Ton war zu schrill. Ihm war zumute, als sei in seinem Lieblingsinstrument, der Geige, eine Seite gesprungen. Er setzte sich zwischen die Stare auf der Stromüberlandleitung. Furchtbar, dieses Pfeiffen im Ohr. Die Stare versammelten sich, um gen Süden zu fliegen. Wenn die Stimme, aus der er erklungen war, so dachte der Ton, so unvorsichtig mit ihm umging, wollte er sich lieber eine andere Stimme suchen. Warum, nicht einfach mitfliegen mit den Staren?.Hier hielt ihn nichts mehr. Zum Glück ließ das schrille Pfeiffen im Ohr  langsam nach und die Energie kehrte zu ihm zurück.

don´t be afraid in the dark

so ist das also:
ich habe das geschenk verstanden
den wert erkannt
den sinn dahinter erfasst
„don´t be afraid in the dark“

ich schenke dir einen ton, einen klang
die ahnung einer melodie

höre, lausche, lass ihn klingen, den ton
schallwellen versenden, ausklingen
sei ganz still
und dann

wenn du seine fülle in dir aufgenommen hast
stimme ein, schwing mit
lehne dich an, lass dich mitziehen
gib einen neuen ton an, lass ihn führen
einklang, mehrklang
was soll dir schon geschehen
harmonien entstehen im sensiblen spiel
zwischen dir und mir
niemals bist du allein, so aufgehoben

als sei ein engel neben dir

STIMMUNG ZWISCHEN DEN ZEITEN

Zwischen den Dialogen schwingen verhaltene Töne. Ich bin neu, und das Entziffern fällt mir  schwer. Rätsel sind noch zu lösen. Nicht alles versteht sich von selbst,  hinterlässt nur ein Ahnen. Traurigkeit flaut auf wie eine verregnete Fahne im Wind an einem schmutziggrauen Tag: nicht mehr Winter und noch nicht Frühling. Gräser, die neben Baumsilhouetten trotz alledem in die Luft staken, abblätternder Putz an einer vergrauten Fassade, Ausgewürgtes und gräulicher Papiermatsch auf dem Asphalt, verhaltene Farben, ein fahriges Gelb, ins Braun sich verfärbende Zweige, verwaschener Backstein und Luft, die man auswringen könnte, Rheinwasser dass über die Ufer tritt und sich in alte Flussarme ergießt, dazwischen vertraute Baumriesen, die gebrechlich wirken. Ein gebrochenes Herz, verstummte Stimmen, Sehnsucht…
Hätte ich Energie heute, ich würde einen frischen Ton in die Stimmung pusten und einen warmen Klang zwischen die Worte singen…erst leise, dann immer lauter…hörbar, ein junges Lied, das Mut macht gegen Frustration, Enttäuschung und Resignation, eins, dass die Schwere nimmt, Leichtigkeit schenkt und Kränkung heilt.

Der verletzte Ton

Der Ton war gekränkt und verletzt.
Wie hatte man ihm das nur antun können. Tief ins Innere des Körpers hatte er sich zurückgezogen und eng zusammen gerollt. Niemand sollte ihn mehr finden, jedenfalls nicht heute.
Die Lust, sich unter die anderen Töne zu mischen, um sich mit ihnen zur Melodie zu formieren, war ihm im Augenblick vergangen. Wie hatte man ihn nur so missverstehen können? Er verstand es einfach nicht.
Dicke Tränen kullerten ihm über seine Wangen.
Was war er eigentlich?
Er hatte eine konkrete Vorstellung von sich. Offensichtlich aber sahen die anderen an ihm etwas ganz anderes, etwas, mit dem er sich nicht identifizieren konnte. Die großen Pläne waren zusammengefallen, wie ein Kartenhaus aus Nieten. Nichts war mehr wie es für ihn sein sollte.
So gern hätte er einmal nur auf der Bühne stehen und den Ton angeben wollen. Das wollten die anderen doch auch, und sie nahmen sich dieses Recht einfach heraus.
Vielleicht hätte er nicht erst fragen sollen. Er war aber nun einmal wie er war, immer vorsichtig und etwas zaghaft.
Schließlich hatte er nicht vor, einen Konflikt zu provozieren oder jemanden zu verletzen. Ihm lag viel an Harmonie, besonders in der Melodie eines Liedes.
Aus Erfahrung wusste er, wie es verletzten Tönen geht. Sie klangen schief und schräg und waren so für ansprechende Melodien nicht mehr zu gebrauchen. Niemand wollte Missklänge hören.
Es tat so weh, ausgegrenzt zu werden. Das  Fundament unter seinen Füßen verschwand und er fiel in einen bodenlosen Abgrund.
Schüchtern hatte er an die Türen der anderen Töne angeklopft und gefragt:
„Darf ich heute mal den Ton angeben?“
Ausgelacht hatten sie ihn:
„Du, willst den Ton angeben? Ausgerechnet du? Es gelingt dir ja nicht einmal, einen Ton zu halten. Wie willst du da die anderen zum Einstimmen bringen?“
Da hatte der Ton sich umgedreht und war schweigend gegangen.
Und jetzt saß er versteckt in einer geheimen Nische des Körpers und wollte für heute nicht mehr gefunden werden.