Drei kleine Schreibprojekte 2

1. Die Suche nach MARIE 2

Eigentlich, so ist mir neulich eingefallen, war MARIE schon viel früher da. Das hat mit meinen beiden Vornamen „Angelika Maria“ zu tun. Mitte der siebziger Jahre liebte ich den Song „ANGIE“ von den Rolling Stones, und ich war bis über beide Ohren verliebt. So nannten mich meine Freunde und Geschwister fortan Angie, weil ich diesen Song immer wieder hören wollte und er auf Engtanz-Feten immer gespielt wurde.
Es gab eine Zeit, in der ich mich intensiv mit meinen zwei Vornamen auseinandersetzte. Dabei wurde aus Maria „Marie“. Angie-Marie klingt in meinen Ohren verspielter, zeitgemäßer und weniger steif. Mit diesem Namen konnte ich mich besser identifizieren, und so nannte ich mich dann zukünftig auch. Es war die Zeit meiner ersten Schreibversuche im öffentlichen Raum. Angie und Marie, Geschwister, waren zwei unterschiedliche, aber gewichtige Stimmen in meinem inneren Team. Sie stritten miteinander, waren oft unterschiedlicher Meinung, versöhnten sich wieder, gingen ein Stück gemeinsam und dann wieder auseinander, probierten unterschiedliche Wege aus. Die Protagonistin, die auftauchte, als es mir gesundheitlich sehr schlecht ging, nannte ich MARIE und das war für mich ein sehr natürlicher Prozess und äußerst passend.
Als ich mir vor vier Jahren ein neues Fahrrad kaufte, genau nach meinen Vorstellungen und ohne mich von irgendjemanden beeinflussen zu lassen, taufte ich es Mia-Marie. Es gibt nämlich noch eine andere Maria in meinem Leben. Sie wurde Mia genannt und war meine Patentante. Sie war die älteste Schwester meiner Mutter. Von ihr bekam ich meinen zweiten Namen. Mia liebte alle ihre 21 Nichten und Neffen und hatte immer viel Verständnis für sie, verurteilte nie, und was wir ihr erzählten, gab sie nicht weiter an unsere Eltern. Wir konnten ihr alles anvertrauen. Sie selbst, Kriegerwitwe und kinderlos, war der gute Geist in unserer großen Familie und eine Ersatzmutter für uns, denn sie war da, wenn Not an Mann oder Frau war und stand ihren vier Schwestern bei großen Festen, Krankheiten, Niederkünften wie selbstverständlich zur Seite.  Ich denke sehr oft an sie.

Drei kleine Schreibprojekte

1. Die Suche nach MARIE

MARIE ist eine der ersten Protagonistinnen, die ich erfunden, gestaltet und 2006 ins Leben geschickt habe. Plötzlich war sie da und nahm Gestalt an. Folgte ich ihr oder folgte sie mir? Ich kann es nicht sagen. Sie kam zum richtigen Zeitpunkt, denn ich setzte mich gerade mit einer schweren medizinischen Diagnose auseinander: Krebs. Die Behandlung machte mich richtig krank, raubte mir Energie und Kraft. Ich erinnere mich an Tage, an denen ich das Gefühl hatte, alle Lebenskraft rinne unaufhörlich aus mir heraus. andere habe ich nur verdöst. Wenn ich aufstehen konnte, habe ich geschrieben. Beim Schreiben vergaß ich Kraftlosigkeit, Schmerzen und Müdigkeit. Ich habe Marie auf eine Reise geschickt ins Ungewisse. Während ich sie schrieb fand sie für uns beide hilfreiche Dinge, Visionen, Metaphern, Lichtgestalten, heilende und erhellende Substanzen, die Elemente, Magie. Diese unterstützten Marie bei den Herausforderungen der gefährlichen Abenteuer ihrer Reise. Gleichzeitig halfen sie mir bei der Bewältigung meiner Krankheit und der darauffolgenden Genesung. So wie MARIE sich neu erfunden hat nach dieser Reise, musste auch ich mich neu erfinden und alles was durch die Krankheit auseinandergebrochen war, Stück für Stück wieder zusammensetzen.
Sie verschwand wie sie gekommen war. Eines Tages fielen mir keine neuen MARIE-Geschichten mehr ein. Natürlich ist sie ein Teil von mir, der nur auf einer anderen Ebene unterwegs ist, so sehe ich das.
Ich möchte sie gerne wieder finden, und suche die versteckte Brücke, Abzweigung, den überwucherten Pfad, das Heckenloch, das auf ihre Ebene führt.
Jede Suche ist immer auch eine Suche nach sich selbst, und so schreibe ich nun jeden Abend vor dem Schlafengehen an diesem Projekt. Ich schreibe auf, was mir in den Sinn kommt und folge dem Motto: „Der Weg ist das Ziel.“ So gelten die letzten Gedanken des Tages MARIE und ich nehme diese mit in meine Träume.

Spurensuche, Claire sucht Marie 6

Liebe Marie,

etwas erstaunliches ist geschehen: heute Morgen war ich so unruhig und ganz hoffnungslos – wie soll ich auch die Stecknadel im Heuhaufen finden – und jetzt, nachdem ich ein wenig geschlafen habe, gehts mir viel besser. Ich träumte vom Meer. Es war warm und smaragdgrün. Ich schwamm weit hinaus und sah eine rote Insel – schemenhaft zeichnete sich eine dunkle Bergkette ab. Plötzlich war eine Nixe neben mir. Sie flüsterte mir ins Ohr: „Finde Clarisse.“

Ihre Stimme war perlend und hell, wie eine unterirdische Quelle und die grünen Haare ringelten sich wie frisches Seetang um ihren schmalen Kopf. Ich wollte weiter schwimmen, aber sie griff an meine Schulter und gebot mir, zurück zu kehren aus meinem Traum.
Ich bin aufgestanden und in die Küche gegangen. Dort in der Schublade oben rechts, das weiß ich noch, liegt dein grünes Adressenbuch.

liebe Grüße, Claire