Nicht Erfüllung, sondern Sehnsucht und Vorfreude sind das wirkliche Paradies.
Sehnsucht

Aurora, die auf dem Seil tanzt 11
7.3.
Lieber Freund,
meine Seele weint und das Herz tut weh. Manchmal lache ich trotzdem, denn man kann nicht immer traurig sein und vor Wehmut ganz schwach. Und dann schaue ich zum Fenster hinaus und sehe, dass der Apfelbaum treibt und die Osterglocken mir ihr freundliches Gelb schicken. Ich sehe die Veilchen unter den Heckensträuchern und viele bunte Krokusse. Ich denke an Ostern und schmücke mein Haus mit Blumen. Dann werde ich ganz leicht, öffne weit das Fenster und lasse meinen Bruder den Wind hinein. Ich mache mir Musik, lausche verschwimmenden Klängen und tanze selbstvergessen bis ich erschöpft bin.
Und dann höre ich die Amsel singen, so süß, dass mir das Herz schwer und leicht zugleich wird, und die Tränen fließen. Manchmal weiß ich nicht, ob vor Glück oder vor Kummer.
Verstehst du mich? Ich sehne mich nach etwas, dass ich nicht bekommen werde, und ich schaffe es nicht, mit mir ins Reine zu kommen. Manchmal hasse ich mich dafür, schimpfe mit mir, aber mein Herz lässt sich nicht betrügen. Es lässt sich nichts ausreden und es vergisst nicht. Verstehst du mich? Ich verstehe mich nicht: es ist Frühling, die Luft mild und die Tage sind schon länger.
Und ich? Ich bin ein trauernder Kloß, werde älter, meine Jugend verschwindet. Ich frage mich, wie lange noch das Seil mich trägt. Ich muss raus aus diesem geschlossenem Kreis, noch einmal etwas neues wagen. Lieber würde ich mit einem Gefährten gehen, aber da ist niemand.
Kennst du diese verzehrende Sehnsucht, nach etwas, von dem du noch nicht einmal weißt, was es ist? Du gibst ihm tausend und einen Namen, und keiner passt wirklich. Alles viel zu ungenau. Niemals schafft die Sprache es, auszudrücken, was genau ein Mensch empfindet.
Ich rolle als Trauerkloß übers Seil – immerhin muntert mich diese Vorstellung auf – das hat was, deine Aurora
Notes
Ja, ja, wir beide, du und ich, wir haben uns viel zu erzählen.
Auch wenn die Worte schweigen, flüstert der Wind den Takt der ungesagten Sätze. Ein belebtes Schweigen liegt im Abend, verflüchtigt sich in die Nacht und webt sich formend in die Träume.
Ich würde dich gerne fragen: „Welche Farbe hat die Sehnsucht?“
Für mich ist sie nachtblau und weht wie eine Fahne aus Seide, glatt, glänzend und knisternd.
Ihre Tiefe kann ich nicht ermessen, denn ich sehe nicht bis zum Grund.
Die Sehnsucht hüllt mich ein, entzieht mich den Blicken.
Selbstschutz!
Seltsam
7.1.2016
Heute war mir so, als würdest du klopfen an jene Tür, die ich nur durch dich gefunden habe, dabei war sie immer da.Wenn sie sich öffnet, verströmt sich ein warmes, wohliges Kribbeln in meinem Körper. Das Glück ist fühl-und spürbar. Es singt und sprudelt. Die Tür, ein neuralgischer Punkt, hinter dem die verborgene Sehnsucht lebt, die eins sein will mit dir und allem, ganz eben und unzerteilt. Ich hatte keine Worte dafür, bevor du meinen Weg gekreuzt hast. Und immer denke ich mit einem Lächeln an dich, wenn die Tür sich öffnet. Dabei bist du nicht mehr da. Es muss etwas sein, was uns und alle verbindet, selbst über den Tod hinaus.Fühlfäden, spirituelle Spürnetze!
Dabei war ich heute ganz woanders, als es klopfte, nicht ich selbst habe geöffnet.
Und wie ein Wunder sind plötzlich wieder Worte da. Sie strömen mir zu, verbinden mich mit der kreativen Quelle in mir, mit dem unbewussten Ozean, in dem wir alle schwimmen.
STERNENSTAUB
„Sternenstaub!“ hatte jemand gesagt an einem Abend, nachdem gerade die Sonne untergegangen und der Mond im Zwielicht zwischen Tag und Nacht noch nicht erschienen war.
„Aus Sternenstaub sind wir.“
Da war sie wieder, die Stimme. Marie lauscht und späht zum Fenster hinaus. Sie sieht nichts. Woher ist die Stimme gekommen? Marie erfasst, dass die Stimme aus ihr selbst gekommen ist. Vor langer Zeit hat ihr jemand diesen Satz gesagt. Gefühle steigen hoch, traurige, denn die Stimme gehörte jemandem, der schon eine Weile aus Maries Leben verschwunden ist.
„Ebbe und Flut.“ denkt Marie. „Immer die Gezeiten, die im Blut nachwirken.“
Es war lange Ebbe gewesen, das heißt, Marie hatte nicht an ihn gedacht und so die schmerzlichen Gefühle von sich ferngehalten. Jetzt aber ist wieder Flut. Es brandet und mit der Brandung steigen Schmerz, Angst, Sehnsucht, Verlangen und das Gefühl vollkommener Einsamkeit in ihr hoch. Die Kehle wird eng, Druck liegt auf dem Magen, Tränen steigen in die Augen.
„Wann nur,“ fragt sich Marie, „hört das auf.“
Marie schlüpft in ihr Bett und zieht die Bettdecke über den Kopf. Ganz nah zieht sie die Knie an die Brust. Sie weint und schluchzt wie ein Kind, das sich verlassen fühlt. Sie wiegt sich hin und her, als sei sie ihre eigene Mutter. Es dauert lange, bis das Weinen verebbt und ein letzter Schluchzer sich aus der Kehle befreit.
Die Wellen sind jetzt ruhig. Über dem Wasser glitzert der Mond.
Marie steht auf und wäscht sich das Gesicht. Sie schaut in den Spiegel, der über dem Waschbecken hängt. Die Augen sind rot. Jetzt will sie schlafen, nur noch schlafen, denn die Gefühlsgezeiten haben ihre ganze Kraft gekostet. Sie lächelt sich zu. „Ja, aus Sternenstaub sind wir gemacht und zu den Sternen kehren wir zurück, irgendwann.“