Rosenzeit 3

Guten Abend Flores,

ich kann nicht anders: es reizt mich, dir noch heute zu antworten. Du schreibst, Gefühlsüberschwang berührt dich – seltsam, das sagen mir Menschen oft – und ich merke, diese freie und spontane Art, den Gefühlen Ausdruck zu verleihen wird gerade von Menschen geschätzt, die sich scheuen, ihre Gefühle nach außen zu tragen. Oft lassen sie sich dann mitreißen und begeistern.
Weißt du, ich kann auch versuchen, die Worte zu verschlucken, aber dann verrät mich Mimik und Gestik. Ich bin unfähig zu lügen. Glaube mir, es ist nicht immer angenehm und von Vorteil, wie ein offenes Buch herumzulaufen, in dem jeder lesen kann. Und ein gewisser Hang zur Dramatik liegt durchaus in meinem Wesen. Oh ja, ich kann mich in Gefühle hineinsteigern. Eine Bühne für mich ganz allein würde mir gefallen – der rote Teppich dürfte nicht fehlen. Manchmal stelle ich mir vor, ich sei ein Königin und alle meine Rosen Prinzen und Prinzessinnen von hohem Geblüt. Der Heckenstaat bestehe aus Akrobaten, Narren, Clowns und Märchenerzählern und das Orchester, das zum Tanz aufspielt, trage bunte Gewänder mit Glöckchen und Schnabelschuhe. Ach ja, der Klatschmohn tanzt wie Aurora einbeinig auf dem Seil. Man hat mir als Kind wohl zu oft gesagt, in meinen Adern fließe blaues Blut. Du siehst, mit mir geht die Fantasie schnell durch.
Möglicherweise sitzt du jetzt auf einer südlichen Dachterrasse und schaust den Schwalben zu – am Horizont versinkt die Sonne im Meer. Fast höre ich die Trauben gurren. Es ist warm und eine sanfte Brise umschmeichelt dich verwegen und ein bisschen frech.

Erzählst du mir, was genau das „DU“ in dir anspricht im Gegensatz zum „Sie“?

Es grüßt dich eine lächelnde Bela von Rosenhaag