Nachtblau mit einem Hauch von Violett

(blau, weil es meine Lieblingsfarbe ist; natur, weil ich es natürlich liebe; Seemannsgarn, weil ich als Kind Klaubautergeschichten liebte)

Der Korb steht vor der Tür. Sie kann ihn nicht übersehen. Gerade kommt sie vom täglichen Spaziergang im Wald zurück, wie jeden Tag, so gegen sechzehn Uhr. Neugierig schaut sie in den Korb. Es liegen Wollknäuel darin und obenauf ein Zettel: „Strick eine Geschichte aus mir!“ steht darauf, in gleichmäßigen Druckbuchstaben ohne Schnörkel, geschrieben mit Tinte auf weißem Papier. Es beeindruckt und freut sie, dass da tatsächlich jemand Papier und Tinte benutzt hat. Irgendjemand, geht es ihr durch den Kopf, muss wissen, wann sie nachhause kommt, dass sie gerne strickt, besonders Socken, denn dabei kann man abtauchen in ganz andere Welten und dass sie gerne Seemannsgarn spinnt. Lieber sagt sie aber: „Ich spinne Seefrauengarn.“
Das Sockenstricken ist also für sie fast immer eine willkommene und entspannte Möglichkeit aus dem Alltag zu flüchten. Besonders aber, wenn der Tag stressig und die Arbeit mal wieder ätzend war.
Noch bevor sie den Haustürschlüssel aus der Jackentasche holt, greift sie in den Korb und zieht einen dicken Strang blauer Wolle hervor, genau jenes Blau, das sie über alles liebt: Nachtblau mit einem Hauch Violett.
Und schon geht es los. Sie schafft es nicht sofort, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, um die Türe zu öffnen. Die Bilder kommen einfach.
Sie sieht den nördlichen Ozean an seiner tiefsten Stelle. Jodhaltige Luft kitzelt ihre Nase. Hohe Wellen rollen in den bleigrauen Himmel hinein. Ein kleines Boot aus Binsen schaukelt mit ihnen mit. Sie kann es kaum fassen und begreifen, aber das kleine Boot hält wacker seinen Kurs. Es kippelt nicht, so als wisse es längst, dass es bald Land sichten und dort einen ruhigen Hafen finden wird. Es gelingt ihr noch nicht, in das Boot hinein zu schauen, um zu sehen, was sich dort versteckt.
So kehrt sie erst einmal zurück, denn es ist kalt draußen, öffnet die Haustür und betritt den Flur. Den Korb nimmt sie mit. Nachdem sie abgelegt hat betritt sie die Küche und kocht sich starken Kaffee, obwohl sie weiß, dass es dazu eigentlich schon zu spät ist. Die Nacht wird schlaflos bleiben.
Aber das ist ihr jetzt egal, denn wenn Frau nicht schlafen kann, dann kann sie träumen und Geschichten spinnen.

Eine Geschichte zur Nacht:

 

besondere tage

und über den tagen außerhalb der zeit lag ein frühlingsgrünes lächeln, das lächeln eines verwunderten kindes, für das jede sekunde die aus der zeit heraus wächst einen neuen, noch unerlebten zauber gebiert. und im flügelschatten des großen lächelns verbarg sich die angst mit ihren viefältigen gesichtern. und das licht war wie eine brücke, die menschen miteinander verband und eine weile aus der zeit heraustreten ließ. in der hand des goldenen kindes lag ein feuersprühender ball. siehst du ihn fliegen durch die nacht, die den tag gegessen hat, damit im nachtblau das licht nicht vergessen wird?

Schlaft schön!