19.2.
Mein ferner Leuchtturmwärter,
ist es still auf deiner Insel? Gibt es andere Menschen dort? Oder lebst du ganz allein zwischen Möwen und anderem Geflügel? Ich stelle mir den Winter dort schwierig vor. Da ist mir die Stadt mit ihrer Lebendigkeit lieber, auch wenn gerade die Narren los sind, und ich mich in meinem Dachzimmerchen verbarrikadiert habe. Ich schaue von oben auf ihr buntes Treiben.
Wieder einmal werde ich nicht müde – die Worte balancieren auf einem Drahtseil in meinem Kopf. Sie sind aber nicht sicher, haben manchmal Höhenangst und purzeln dauernd herunter. Kein Netz fängt sie auf und so angele ich nach ihnen in der Tiefe. Wenn sie etwas gebrochen haben, kenne ich sie nicht unbedingt wieder. Sie sehen so anders aus – ein völlig anderer Sinn und nichts passt mehr.
Ich habe ein Lazarett eingerichtet für verletzte Worte.
Und überhaupt, was wollte ich noch sagen? Geht es dir auch manchmal so, dass du einen großen Bogen um den Kern der Sache machst, weil du sie nicht an dich heran lassen kannst, Angst hast, der Wahrheit ausweichen möchtest, und doch zieht es dich genau dorthin. Aber du hast nicht mit den Tücken der Gedanken gerechnet – da turnen sie plötzlich auf dem Seil herum, stürzen und du hast Mühe, sie wieder zu finden.
Es sind immer Schichten aus Gedanken, Worten, Erinnerungen, Gefühlen und Träumen, die den Augenblick wirken. Ich werde über Ginseng nachdenken und den Wert von Wurzeln. Vielleicht finde ich so den verlorengegangenen Faden wieder, und meine Worte müssen keinen Drahtseilakt mehr absolvieren.
Es grüßt dich Aurora, die ihre Worte pflegt