Lieblingssätze 6

„Nichts geht verloren in verwunschenen Hecken

lauschend, raschelnd im Dickicht, in der Watte der Stille.“

(Wilhelm Fink in einer Notiz an mich)

Das ist Essenz. Ich schmecke noch den Geschmack wilder Beeren auf meiner Zunge.

Wenn ich meinen inneren Garten betrete, ist es still. Nicht absolut still. Herzschlag und das Rauschen des Blutes in meinen Adern höre ich ja, solange ich lebe.

In den Hecken um meinen wilden Garten rascheln die Blätter. Bienen summen, Vögel zwitschern, höre ich unser helles Kinderlachen, Bruder. Zeitlosigkeit, das Hinausspringen aus dem Gefüge von Sekunden, Minuten und Stunden.

Du musst dabei gewesen sein, damals unter den Hollunderbüschen im Heckenrund. Für mich eine Laube des Glücks, ein geheimer Platz mit duftenden Blüten, dichtem Laub und schwarzen Beeren, die so herb schmeckten, dass mir übel wurde und ich alles ausspeien konnte, was mir schwer auf dem Magen lag.

An den Dornen blieb so manches Fädchen hängen. Den Blicken entzogen, mit mir allein selig. Aus Ästen und Zweigen wuchsen Geschichten und in die Blattachsen hängte ich meine Träume.

Du musst dabei gewesen sein, selbst ein Kind.

Verschobene Zeitebenen. Aber was ist Zeit, wenn doch in manchen Momenten alles gleizeitig zu sein scheint?

Ich glaube, die Heckenwesen sind findige und begabte Hexen und Zauberer. Sie bringen zusammen, was sich fügt. Sie halten alles fest, damit nichts verloren geht. Sogar uns, mit dem einstigen Kinderlachen.

Wurzeln 19

Mitten im Garten steht eine alte Kastanie und darunter eine grüne Holzbank. Im Baumstamm lebt die uralte Eule Neunmalklug. Es gibt eine Tür in den Baum hinein. Dort kann man viele Treppen hinab steigen, um den Wurzeln beim Wachsen zuzuhören oder hinauf bis in die kleinen Verästelungen der Zweige, die beinahe den Himmel berühren. Es gibt dort einen Wächter, der dafür sorgt, dass kein Neugieriger durch Zufall einen Eingang in den Garten findet. Er bannt unerwünschte Eindringlinge, indem er ihnen Geschichten erzählt. Im Garten ist meist Mai und später Nachmittag an einem schönen lauen Frühlingstag. Der Himmel ist blau, und ein sanfter Wind treibt die Schäfchenwolkenherde über den Horizont.
Um die Kastanie herum verändert sich der Garten ohne Unterlass. Mal ist er groß, mal klein. Es gibt einen verborgenen See mit einer kleinen Insel und einem Froschkönig, der nicht König werden möchte, viele geflügelte Schutzgeister und alles, was in einem richtigen Märchengarten nicht fehlen darf: Blumen, Beeren und Gemüse; Wiese, Buchsbaum, Kompostecke, Brennnesselhag und Obstbäume, Brunnen und Backofen, wie bei Frau Holle; Pavillion, Taubenschlag und Laube.

Ich hatte einen Traum

Es war einer jener Träume, die selten sind und die man nicht mehr vergisst. Diese besonderen Träumen erzählen mir etwas über mich, was ich bis dahin in seiner Komplexität noch nicht begriffen hatte, obwohl die einzelnen Puzzleteile schon lange vorhanden waren. In dieser Nacht war ich im Garten meiner Kindheit, genau an jenem Platz, an dem der Birnbaum mit den kleinen runden Birnen wuchs. Er war nicht besonders hoch, und ich pflückte die Grießbirnen schon als Kind gerne. Ende August wurden sie reif. Sie wurden nicht roh gegessen sondern eingekocht. Erst dabei entwickelte sich ihr unvergleichlicher Geschmack. Niemals mehr habe ich diese Birnen gesehen oder gegessen, nachdem Garten und Birnbaum aus meinem Leben verschwunden waren. Wüsste ich den Sortennamen, ich würde einen solchen in meinen Garten pflanzen. Sofort!
Zurück zum Traum, was hat er mir erzählt?
Mein innerer Ort ist ein Garten, in dem ein Birnbaum steht. Er ist von Hecke oder Mauer umgeben. In der Mitte ist ein tiefer Brunnen. Es ist ein Vorfrühlingsgarten, indem die Knospen beginnen sich zu regen und die Sonne erste zarte Farbtupfer in den Tag malt. Meine Farben sind: buttergelb, puderrosa, helllila, blassblau, zartgrün, silber, weiß und alle Grautöne. Es duftet nach dem letzten Schnee und dem ersten grünen Gras. Es ist eher das Ruhige und Verhaltene, was mich ausmacht. Mein Ziel ist der Weg.
Würde ich mein Lebensmärchen schreiben, alle genannten Facetten müssten darin enthalten sein.
Zurück zum Traum. Dort bin ich zurück gekehrt in meinem Kindheitsgarten, der schon längst verwildert und von (Un)Kräutern überwuchert ist. Trotzdem finde ich dort alle meine Farben und Düfte wieder. Ich weiß, dass ich den Garten an diesem Ort nicht behalten oder neu errichten kann. Aber meine Schwester ist bei mir. Sie nimmt eine Pinzette, pflückt vorsichtig Miniaturen von Kräuter und Blumen und pflanzt sie in eine kleine Schale. Sie drückt mir die Schale in die Hand und sagt: „Nimm sie mit. Und nun geh.“
Jetzt weiß ich, dass ich jene Samen in allen inneren und äußeren Gärten auspflanzen kann, die ich für mich – wo auch immer – noch finden oder anlegen werde. Und an jedem dieser Plätze werde ich neue Sämlinge mitnehmen können um die vorhandenen zu ergänzen und zu erweitern.

Habt ihr vielleicht ein ähnliches Bild im Kopf, dass euch überall hin begleitet und in dem ihr ausruhen könnt, wenn draußen alles zu viel und zu laut wird?

Selbstbildnis 9

Heckenleben

Mich hat die Hecke geschlagen. Schon lange beschäftige ich mit dem Begriff “Hecke”, rein gedanklich, bildlich: die Hecke als Lebensraum, als Ab-und Eingrenzung, als Barriere nach draußen, die Hecke im Märchen, wie Dornröschen. Immer hatte ich dabei das Gefühl, der Begriff in seiner Bildhaftigkeit hat eine besondere Bedeutung für mein Leben. Ich nannte mich Dornrosis, schrieb Heckengeschichten, wie “Dornrosis und die Hecken”. Jetzt plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: es gibt sie, die tatsächliche Hecke um den Garten meines Elternhauses herum, und sie ist, wie mir gerade deutlich geworden ist, ein psychologisches Symbol für die Struktur meiner Familie. Im Augenblick ist sie Zankapfel im Umgang mit den Nachbarn, aber auch zwischen uns Geschwistern. Was äußerlich beinahe wie eine Bagatelle erscheint, hat tiefgründige Wurzeln und führt bei genauerer Betrachtung weit in die Geschichte der Familie zurück. Ich werde erzählen!

Selbstbildnis 3

Liebe MORGANA,

die Morgenröte grüßt dich. Ich bin auf der Insel, war es schon immer und habe mich in den Wellen des Ozeans verloren.
Dieses Funkeln, viel zu schön, viel zu viel des Lichtes, Irritation!
Aus dem Schatten der Hecke zu treten, um sich ins offene, ungeschützte, weite Meer zu trauen, zu viel, überwältigend.
Jetzt wieder an Land, den Wind auf der Haut, die geschlossenen Augen der Sonne entgegengereckt, Regenbögen unter meinen Lidern. Wie es mich streichelt, wie zärtlich der Wind mich trocknet. Ich werde mich wieder einsammeln, ganz langsam. Werde mich besinnen.
Es aushalten, dieses Zuviel, diese Fülle.
Ich hatte vergessen wie es ist, aus der Fülle zu schöpfen. Die Insel ist klein, eine Vogelinsel mit Leuchtturm. Kein Traumtänzer zu sehen. Aber brauche ich den? Fatamorganen, Nachtgeplärr, Fluchten. Gruß, AURORA

Nur eine Tulpe im Strauß, gestern!

Werde ich der Tulpe in ihrem Wesen gerecht, wenn ich mich davon tragen lasse zu Erinnerungen, in Geschichten und Gedanken? Wie Seide schimmert ihre Blüte.
Da war mal ein kleines Mädchen, das wünschte sich nichts mehr, als ein Prinzessin zu sein. In ihren Gedanken lief sie der Mutter, dem Vater, des Geschwistern und auch allen anderen davon. Oft war sie zwar sichtbar anwesend, aber mit dem Geist in einer ganz anderen Welt.
Dort, in Adianopulis, war immer Frühling. Das Gras wuchs stark und üppig grün. Blumenelfen bevölkerten die Hecken. Es war eine lange Hecke unter dem blauen Himmel, über den nur hin und wieder eine Wolke schwebte. Ein leichter Wind wehte über das Gras. Das Mädchen trug weite, seidene Röcke, flamingorot changierend und blütenweiße Hemdchen mit Puffärmeln. Für ihre langen, dunklen Haare flocht sie bei jedem Besuch einen Kranz aus Blüten Die Röcke bauschten sich im Wind. Das Mädchen, das so gerne eine Prinzessin sein wollte, hatte einen Begleiter. Es war Adinos, der weiße Riesenhase. Wo sie auch ging, wanderte und tanzte, da war er an ihrer Seite. Er passte auf, dass sie der Hecke nicht zu nah kam, denn die Dornen hätten ihre seidenen Gewänder zerfetzt. Und überhaupt, er konnte gut zuhören mit seinen langen Ohren. Oft vertraute die kleine Maja sich dem Hasen an. Sie klagte über die raue Welt, in der sie zu hause war, sprach über das Unverständnis anderer Mädchen und darüber, dass sie keine Freundin hatte. Die schönen Sachen erzählte sie auch, von der Mama, die sie lieb hatte, dem kleinen Bruder, der noch der Wiege lag, der Klassenlehrerin, die ihr Tulpenbild gelobt und an besonderer Stelle im Klassenzimmer aufgehängt hatte. Maja konnte wunderbar malen. Regelmäßig erinnerte Adinos Maja daran, dass sie zurück kehren müsse, um Aufgaben zu erfüllen, die sie nur in der anderen Welt erfüllen konnte und die wichtig waren, um zu wachsen und erwachsen zu werden, irgendwann. Auch gab es in Adianapolis nicht die rechte Menschenkost.

Der Nacht geschenkt 5

ich säte blühendes gras in zerbröckelnde fugen / zwischen irische steine/ auf südliche hänge/ in antike mauernischen/ doch nie sah ich, was wuchs unter den wechselnden himmeln/ die gezeiten trugen mich fort/ auf windbewegten flügeln immer weiter/ fern von mir und meinem tun/ sah ich die liebe erröten/ es lag musik in ihrem wesen und verwunschener tanz/ so fand ich das verblassende echo nur in mir selbst/ und küsste hinter der hecke heimlich die rosen

IMG_4907

Dennoch…

Als ein kalter Wind die alten Blätter über den Asphalt fegt, versteckt sich der Frühling in einer Mispel- die in einem alten, knorrigen Baum baumelt – und schaut sehnsüchtig hinauf zum winzigen Blau im großen Grau.
Über den Gartenzaun lugt ein blühender Mandelbaum, und hinter der Hecke hat sich der Weißdorn  in eine weiße Wolke verwandelt. Das Klopfen des Spechts lässt aufhorchen und die Trauerweide wäscht unbetrübt immerzu ihre langen, gelben Flechten im Teich. Die neugeborenen Zicklein  springen unbekümmert  über Stock und Stein.

Die Macht der Worte

(Nachklang zu „Es war Anfang März“)

 

Manchmal waren deine Worte ein warmes, weiches Tuch, das mich schützend umschloss. Wie eine behütete Prinzessin, gekleidet in Samt und Seide, fühlte ich mich.
Im Gleichklang mit ihnen entstand Einklang.
Dann wieder waren deine Worte hart, voller Kanten und Ecken, Abgründe taten sich auf, Fließsand drohte mich zu verschlingen
In Resonanz zu ihnen gewannen meine Grenzen neue Konturen.
Immer war da um uns herum eine Hecke mit geheimen Verzweigungen und überraschenden Wendungen, innerhalb der wir Kinder waren, die sich verstecken und über das Spielen die Zeit vergessen.
Ich wuchs an deinen Worten und fand meine eigene Sprache.