Mitten im Garten steht eine alte Kastanie und darunter eine grüne Holzbank. Im Baumstamm lebt die uralte Eule Neunmalklug. Es gibt eine Tür in den Baum hinein. Dort kann man viele Treppen hinab steigen, um den Wurzeln beim Wachsen zuzuhören oder hinauf bis in die kleinen Verästelungen der Zweige, die beinahe den Himmel berühren. Es gibt dort einen Wächter, der dafür sorgt, dass kein Neugieriger durch Zufall einen Eingang in den Garten findet. Er bannt unerwünschte Eindringlinge, indem er ihnen Geschichten erzählt. Im Garten ist meist Mai und später Nachmittag an einem schönen lauen Frühlingstag. Der Himmel ist blau, und ein sanfter Wind treibt die Schäfchenwolkenherde über den Horizont.
Um die Kastanie herum verändert sich der Garten ohne Unterlass. Mal ist er groß, mal klein. Es gibt einen verborgenen See mit einer kleinen Insel und einem Froschkönig, der nicht König werden möchte, viele geflügelte Schutzgeister und alles, was in einem richtigen Märchengarten nicht fehlen darf: Blumen, Beeren und Gemüse; Wiese, Buchsbaum, Kompostecke, Brennnesselhag und Obstbäume, Brunnen und Backofen, wie bei Frau Holle; Pavillion, Taubenschlag und Laube.
Hecke
Ich hatte einen Traum
Es war einer jener Träume, die selten sind und die man nicht mehr vergisst. Diese besonderen Träumen erzählen mir etwas über mich, was ich bis dahin in seiner Komplexität noch nicht begriffen hatte, obwohl die einzelnen Puzzleteile schon lange vorhanden waren. In dieser Nacht war ich im Garten meiner Kindheit, genau an jenem Platz, an dem der Birnbaum mit den kleinen runden Birnen wuchs. Er war nicht besonders hoch, und ich pflückte die Grießbirnen schon als Kind gerne. Ende August wurden sie reif. Sie wurden nicht roh gegessen sondern eingekocht. Erst dabei entwickelte sich ihr unvergleichlicher Geschmack. Niemals mehr habe ich diese Birnen gesehen oder gegessen, nachdem Garten und Birnbaum aus meinem Leben verschwunden waren. Wüsste ich den Sortennamen, ich würde einen solchen in meinen Garten pflanzen. Sofort!
Zurück zum Traum, was hat er mir erzählt?
Mein innerer Ort ist ein Garten, in dem ein Birnbaum steht. Er ist von Hecke oder Mauer umgeben. In der Mitte ist ein tiefer Brunnen. Es ist ein Vorfrühlingsgarten, indem die Knospen beginnen sich zu regen und die Sonne erste zarte Farbtupfer in den Tag malt. Meine Farben sind: buttergelb, puderrosa, helllila, blassblau, zartgrün, silber, weiß und alle Grautöne. Es duftet nach dem letzten Schnee und dem ersten grünen Gras. Es ist eher das Ruhige und Verhaltene, was mich ausmacht. Mein Ziel ist der Weg.
Würde ich mein Lebensmärchen schreiben, alle genannten Facetten müssten darin enthalten sein.
Zurück zum Traum. Dort bin ich zurück gekehrt in meinem Kindheitsgarten, der schon längst verwildert und von (Un)Kräutern überwuchert ist. Trotzdem finde ich dort alle meine Farben und Düfte wieder. Ich weiß, dass ich den Garten an diesem Ort nicht behalten oder neu errichten kann. Aber meine Schwester ist bei mir. Sie nimmt eine Pinzette, pflückt vorsichtig Miniaturen von Kräuter und Blumen und pflanzt sie in eine kleine Schale. Sie drückt mir die Schale in die Hand und sagt: „Nimm sie mit. Und nun geh.“
Jetzt weiß ich, dass ich jene Samen in allen inneren und äußeren Gärten auspflanzen kann, die ich für mich – wo auch immer – noch finden oder anlegen werde. Und an jedem dieser Plätze werde ich neue Sämlinge mitnehmen können um die vorhandenen zu ergänzen und zu erweitern.
Habt ihr vielleicht ein ähnliches Bild im Kopf, dass euch überall hin begleitet und in dem ihr ausruhen könnt, wenn draußen alles zu viel und zu laut wird?

Selbstbildnis 9
Heckenleben
Mich hat die Hecke geschlagen. Schon lange beschäftige ich mit dem Begriff “Hecke”, rein gedanklich, bildlich: die Hecke als Lebensraum, als Ab-und Eingrenzung, als Barriere nach draußen, die Hecke im Märchen, wie Dornröschen. Immer hatte ich dabei das Gefühl, der Begriff in seiner Bildhaftigkeit hat eine besondere Bedeutung für mein Leben. Ich nannte mich Dornrosis, schrieb Heckengeschichten, wie “Dornrosis und die Hecken”. Jetzt plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: es gibt sie, die tatsächliche Hecke um den Garten meines Elternhauses herum, und sie ist, wie mir gerade deutlich geworden ist, ein psychologisches Symbol für die Struktur meiner Familie. Im Augenblick ist sie Zankapfel im Umgang mit den Nachbarn, aber auch zwischen uns Geschwistern. Was äußerlich beinahe wie eine Bagatelle erscheint, hat tiefgründige Wurzeln und führt bei genauerer Betrachtung weit in die Geschichte der Familie zurück. Ich werde erzählen!

Selbstbildnis 3
Liebe MORGANA,
die Morgenröte grüßt dich. Ich bin auf der Insel, war es schon immer und habe mich in den Wellen des Ozeans verloren.
Dieses Funkeln, viel zu schön, viel zu viel des Lichtes, Irritation!
Aus dem Schatten der Hecke zu treten, um sich ins offene, ungeschützte, weite Meer zu trauen, zu viel, überwältigend.
Jetzt wieder an Land, den Wind auf der Haut, die geschlossenen Augen der Sonne entgegengereckt, Regenbögen unter meinen Lidern. Wie es mich streichelt, wie zärtlich der Wind mich trocknet. Ich werde mich wieder einsammeln, ganz langsam. Werde mich besinnen.
Es aushalten, dieses Zuviel, diese Fülle.
Ich hatte vergessen wie es ist, aus der Fülle zu schöpfen. Die Insel ist klein, eine Vogelinsel mit Leuchtturm. Kein Traumtänzer zu sehen. Aber brauche ich den? Fatamorganen, Nachtgeplärr, Fluchten. Gruß, AURORA
Nur eine Tulpe im Strauß, gestern!
Der Nacht geschenkt 5
ich säte blühendes gras in zerbröckelnde fugen / zwischen irische steine/ auf südliche hänge/ in antike mauernischen/ doch nie sah ich, was wuchs unter den wechselnden himmeln/ die gezeiten trugen mich fort/ auf windbewegten flügeln immer weiter/ fern von mir und meinem tun/ sah ich die liebe erröten/ es lag musik in ihrem wesen und verwunschener tanz/ so fand ich das verblassende echo nur in mir selbst/ und küsste hinter der hecke heimlich die rosen
ICH BIN
Ein Heckengeschöpf
im Windrosen-Outfit
durchscheinend im Licht
doch so zart ich auch scheine
mein seidiges Kleid
trotzt widrigen Stürmen
denn ich bin zäh
trage Frucht Jahr um Jahr
will mich wer pflücken
der achte der Dornen
Dennoch…
Als ein kalter Wind die alten Blätter über den Asphalt fegt, versteckt sich der Frühling in einer Mispel- die in einem alten, knorrigen Baum baumelt – und schaut sehnsüchtig hinauf zum winzigen Blau im großen Grau.
Über den Gartenzaun lugt ein blühender Mandelbaum, und hinter der Hecke hat sich der Weißdorn in eine weiße Wolke verwandelt. Das Klopfen des Spechts lässt aufhorchen und die Trauerweide wäscht unbetrübt immerzu ihre langen, gelben Flechten im Teich. Die neugeborenen Zicklein springen unbekümmert über Stock und Stein.
Die Macht der Worte
(Nachklang zu „Es war Anfang März“)
Manchmal waren deine Worte ein warmes, weiches Tuch, das mich schützend umschloss. Wie eine behütete Prinzessin, gekleidet in Samt und Seide, fühlte ich mich.
Im Gleichklang mit ihnen entstand Einklang.
Dann wieder waren deine Worte hart, voller Kanten und Ecken, Abgründe taten sich auf, Fließsand drohte mich zu verschlingen
In Resonanz zu ihnen gewannen meine Grenzen neue Konturen.
Immer war da um uns herum eine Hecke mit geheimen Verzweigungen und überraschenden Wendungen, innerhalb der wir Kinder waren, die sich verstecken und über das Spielen die Zeit vergessen.
Ich wuchs an deinen Worten und fand meine eigene Sprache.
Hinter den Hecken
es ist stumm hinter den hecken
in diesen tagen
die noch winter tragen
und den frühling ahnen lassen
weich segeln wolken am himmel
der täuscht in seinem blauen gewand
auf dem verwaisten platz in der mitte
noch spuren vom magischen kreis
dort
wo das ICH mit dem DU
einst flüsterte und raunte
verflochtene zweige nur
und dornen, die blicke abweisen
um ihr geheimnis zu wahren