Wurzeln 13

Großmutterhaus (1)

Das alte Haus, der Bauernhof meiner Großmutter, ist ein Geschichtenhaus und auch wenn es inzwischen abgerissen ist, bleibt es in meiner Erinnerung intakt. Ich kann es begehen, die Räume besuchen, vor den verbotenen Türen stehen, mich vor dem alten Gewölbekeller gruseln oder den Geschichten darin nachspüren. Es ist wie ein sicheres Gehäuse in meinem Inneren verankert. Es steht mir jederzeit offen, damit ich Schätze bergen, Wurzeln erforschen und Geschichten erinnern kann.
Das Haus hatte schon eine Geschichte, bevor ich geboren wurde, gespeichert darin auch ein Stück Familiengeschichte über gute und in schlechte Jahre. Die ersten sieben Jahre meines Lebens durfte ich dort mit Großmutter, Eltern, Geschwistern, Tanten und Onkeln leben. Diese Kindheit hat mich fürs Leben geprägt.

Wurzeln 8

Kindheitsspuren (1) Nachtrag

Manche Wurzeln sollten aus der Erde gezogen werden, mit Stumpf und Stil. Sie vergiften und töten. Andere sollte man hegen und pflegen, auf dass sie sich ausbreiten und den Geist nähren. Eine meiner Wurzeln ist das Großmutterhaus, ein richtiges Geschichtenhaus, das die kindliche Fantasie gefördert und genährt hat.
Zur Geschichte von den roten Schuhen:
„MARIE hebt den roten Kinderschuh auf und steckt ihn in ihre Tasche, die groß ist und in der vieles Platz hat. Sie denkt an das Märchen und wie die Schuhe mit den abgehackten Füssen einfach weiterlaufen, durch den Wald, ins Feld, über den Berg bis hin zum See. Sie weint über das Mädchen, das nun niemals mehr laufen und lebenslustig tanzen wird. Sie denkt auch an Tante Olga, die dieses schreckliche Märchen erzählt hatte und an ihr schlimmes Ende auf Erden. Bedingt durch eine schwere nicht behandelte Diabetes verlor sie nach und nach Zeh, Fuß, ein Stück nach dem anderen vom Bein.
Marie weiß das alles, denn die Geschichten kommen über viele unterirdische Wege zu ihr. Das Wurzelwerk ist gigantisch.