5.2
Guten Abend Traumtänzer,
ich bin erledigt, dieser Tag hat mich geschafft. Sag mir, wie kann eine Wurzeln schlagen, wenn man sie beschneidet, sobald sie einen Wachstumsschub gemacht hat? Sie kann nichts dagegen tun. Wer ausgegrenzt wird, hat keine Chance, sich zu wehren.
Anpassung wäre der Weg, aber für welchen Preis?
An manchen Tagen möchte sie nur schreien. Vielleicht hört ja jenseits von hier einer ihren Ruf und reicht ihr die Hand.
Komm tanze mit mir im Traum einen Tango – ich will Leben spüren, hier ist alles so frostig. Fahr mit mir nach Andalusien. Schwarze Tuschzeichen sammeln sich auf Chinarot und im Rhythmus des Tango lebt wieder mein Blut.
Vielleicht mein Freund sollte ich die Seile abbauen, mich auf Wanderschaft begeben und nach einem passenderem Platz Ausschau halten.
Auf dem Seil bin ich sicher, und aufhängen kann ich es überall. Ich sehe ein kleines Mädchen mit rotem Sonnenschirm. Es tänzelt durch den Regen – ich liebe diese Tuschezeichnung des Malers Zeng Mi – leicht sieht es aus, doch der Weg, der sich durch graue Häuserschluchten mit blicklosen Augenfenstern schlängelt, führt ins Nichts.
Abgründiges, im Nebel versunken ist noch nicht auszuloten. Manche Gemälde vergisst man nie, dieses begegnet mir sogar im Traum. Wenn ich es im Museum betrachte, ist es, als würde ich eine alten Freundin treffen – eine von der Sorte, die man nur in großen Abständen sieht – und immer ist da gleich die Nähe und die verflossene Zeit hat nichts verändert – genauso geht es mir mit diesem Bild.
Schlaf gut – lass uns gemeinsam traumtanzen, Aurora