Lange waren sie verschollen, die Gärten hinter dem Meer. Marie konnte sich nicht erinnern. Nur manchmal blitzte der fruchtbare Geruch von Algen in Verbindung mit dem süßen Duft einer rosaroten Rose durch ihre Erinnerungen. Manchmal versuchte sie dieses Gedankenfragment zu fassen, um eine der Leerstellen in der eigenen Geschichte neu zu verankern. Die Erinnerung flammte auf, entzündete sie kurz und verlosch, bevor ihr das gelang. Und doch, das ahnte Marie, musste es etwas Entscheidendes sein, etwas, dass tief in ihrem Inneren vergraben lag.
Eines Nachts träumte sie von einer Frau, deren Schatten vom Krankenbett aufstand und sich von jetzt auf gleich in einem Garten befand. Der Garten war von einer Mauer aus Stein umschlossen. Eine blaue Gartenpforte führte in die Dünen und zum Meer. Sein Rauschen konnte man im Garten hören Es dämmerte. Der lieblicher Duft von aufgeblühten Rosen mischte sich mit dem schweren, berauschendem Duft der Königskerze, ein Nachtschattengewächs. Der weißgekleidete Schatten schwebte über die Pfade des Garten. Es war Frühsommer. Am Teich quakten die Frösche.
Marie erwachte beschwingt. Sie ahnte, dass es ihr eigener Schatten gewesen sein musste, der sich von ihrem Körper gelöst hatte, um in die Gärten zu gehen, um Kraft für Gesundung und Regeneration zu schöpfen.
Marie hatte damals lange im Koma gelegen, bis sie wieder ins Leben erwachte.
Konnte es wirklich sein, dass ihr so etwas geschehen war, während sie angeschlossen – verkabelt und verstöpselt – an unzählige Geräte war und reglos auf einem Krankenhausbett gelegen hatte? Und wer, fragte sie sich weiter, hatte ihr diese Gärten geschenkt? Waren die schon immer in ihrem innersten Kern angelegt, damit sie in ihnen spazieren kann, wenn Körper und äußere Welt sie im Stich gelassen haben?
Der Gedanke gefiel Marie. Sie nahm sich vor, sich jeden Tag ein bisschen Zeit zu nehmen, um in diesen wundervollen Garten zu gehen.