Duftveilchen
Manchmal ist Ostern schon im März, gerade dann, wenn die ersten grünen Spitzen sich in Hecken und Gebüsch heraus getraut haben und die Bäume eine grünbraune Aura tragen. Die Zweige beginnen gerade erst zu knospen. Hinter dem Haus ist die Wiese übersäht mit Krokussen, die einen blauvioletten Schleier über das winterfahle Gras legen. Der Mirabellenbaum trägt einen weißen Spitzenschal aus kleinen Blüten.
Es ist noch dämmerig, als Antonia den Garten betritt, um ihre Lieblinge zu besuchen. Der Tag ahnt noch nichts von der Hektik, die der ganz normale Alltag mit sich bringen wird. Noch sind ein paar Atemzüge Zeit, um wach zu werden und dem Wachsen zuzusehen. Antonia genießt diese Augenblicke des Tages, die sie ganz für sich alleine hat und in denen sie sich mit ihrer grünen Kraftquelle verbinden kann. Ob wohl die Veilchen schon blühen, fragt sie sich, und eilt zurück ins Haus, um im Vorgarten nachzuschauen. Sie kennt den geheimen und versteckten Platz, an dem sich die Veilchen klein und verschämt zeigen. Leicht sind sie zu übersehen. Und tatsächlich, sie sind erwacht und haben sich aus der Erde heraus getraut.
An diesem Morgen steht auf dem Frühstückstisch eine kleine Kristallvase im Silbermantel. Behutsam hat Antonia kleine zierliche Veilchen gepflückt und hinein gestellt. Das Kind mag gar nicht frühstücken. Es hat nur die Veilchen im Blick und kann nicht genug bekommen von dem feinen Duft, den sie verströmen. Ein kleines Wunder, das verspricht: es wird grün, licht und wärmer. Bald ist Ostern und der Sommer nicht mehr weit. Dieser Tag ist ein Festtag und der eigentliche Frühlingsbeginn.
Auch später als das Kind längst erwachsen ist, macht sein Herz jedes Mal einen Freuden- Hüpfer, wenn es irgendwo im Gras die kleinen Veilchen entdeckt.