Duftveilchen

Duftveilchen

Manchmal ist Ostern schon im März, gerade dann, wenn die ersten grünen Spitzen sich in Hecken und Gebüsch heraus  getraut haben und die Bäume eine grünbraune Aura tragen. Die Zweige beginnen gerade erst zu knospen. Hinter dem Haus ist die Wiese übersäht mit Krokussen, die einen blauvioletten Schleier über das winterfahle Gras legen.  Der Mirabellenbaum trägt einen weißen Spitzenschal aus kleinen Blüten. 
Es ist noch dämmerig, als Antonia den Garten betritt, um ihre Lieblinge zu besuchen. Der Tag ahnt noch nichts von der Hektik, die der ganz normale Alltag mit sich bringen wird. Noch sind ein paar Atemzüge Zeit, um wach zu werden und dem Wachsen zuzusehen. Antonia genießt diese Augenblicke des Tages, die sie ganz für sich alleine hat und in denen sie sich mit ihrer grünen Kraftquelle verbinden kann. Ob wohl die Veilchen schon blühen, fragt sie sich, und eilt zurück ins Haus, um im Vorgarten nachzuschauen. Sie kennt den geheimen und versteckten Platz, an dem sich die Veilchen  klein und verschämt zeigen. Leicht sind sie zu übersehen. Und tatsächlich, sie sind erwacht und haben sich aus der Erde heraus getraut.
An diesem Morgen steht auf dem Frühstückstisch eine kleine Kristallvase im Silbermantel. Behutsam hat Antonia  kleine zierliche Veilchen gepflückt und hinein gestellt. Das Kind mag gar nicht frühstücken. Es hat nur die Veilchen im Blick und kann nicht genug bekommen von dem feinen Duft, den sie verströmen. Ein kleines Wunder, das verspricht: es wird grün, licht und wärmer. Bald ist Ostern und der Sommer nicht mehr weit. Dieser Tag ist ein Festtag und der eigentliche Frühlingsbeginn.
Auch später als das Kind längst erwachsen ist, macht sein Herz jedes Mal einen Freuden- Hüpfer, wenn es irgendwo im Gras die kleinen Veilchen entdeckt.

2. Schreibprojekt „Zwischen zwei Ablenkungen…“

Theo empfängt

Nach dem ich am Montag diese wundervolle Karte aus dem neuen Kartendeck gezogen habe, beschloss ich gestern, dass Theo eine ganze Woche bei mir bleiben darf, um mich zu inspirieren.

Theo, du rosiges Bübchen, deine Welt ist dem Frühling nah.
Fantasie entwickeln, Unzerlesenes von vorne verstehen.
Die Sprache des Herzens sprechen heißt Verstehen von Grund auf.
Von Herz zu Herz schwirren liebevolle Botschaften ohne Worte
so wie zu Beginn, als die Welt nur Klang war.

Theo hat mich empfangen, neutral und offen.
Er hat gewartet, nicht gewertet und nach innen geschaut
bis von mir in ihm ein Bild entstand von dem
was ich sein könnte und noch nicht bin.

Auch ich lausche nach innen:
es ist still, alles wartet.
Siehst du mich Theo?
Und haben inneres und äußeres Bild Ähnlichkeit miteinander?
Du bist schon aus deinem Kokon geschlüpft.
Deine Flügel sind getrocknet und flugbereit,
zeigen sich in ihrer ganzen Pracht.
Licht bist du und sanft.
Etwas Kindliches liegt in deinem Gesicht.
Aus der Stille wächst alles empor, wenn die Zeit reif ist
und die Leere innen Platz gemacht hat,
damit wachsen kann was wachsen möchte.
Vor meinem inneren Auge sehe ich ein Bohne, die keimt
und sich auf ihrem grünen Stängel nach oben schlängelt.
Immer weiter und weiter bis sie den Himmel berührt
und zur Leiter wird auf der ich empor klettern kann.
Ich hoffe, der Empfang wird gut sein da oben.
Ich möchte gerne lauschen und horchen und lernen
wie ich neben den Bohnen
auch Sanftmut und Friedlichkeit in die Welt säen kann.

Corona und ich 2

…der Zeit ein Schnippchen geschlagen, augenblickelang…

1.

Erst war da dieses grüne Lächeln,
das sich zaghaft aus dem vergilbten Laub des vergangenen Jahres schälte, sich zu erheben schien,
um zu beginnen über den Dingen zu schweben,
sich hineinzuweben in Tage und Nächte,
mit einem Duft, der zunächst fein
immer mehr an Intensität zuzunehmen begann,
bis jetzt im Frühling
weder Grün noch Duft und Klang aufzuhalten sind,
um in einer grünen Symphonie zu erklingen.
Das nun strahlende Lächeln im Wettlauf mit der Sonne
weckt die letzten Langschläfer aus ihren Träumen.
Die Zeit ist reif und der Boden bereit zum Sähen.
Neues will wachsen.

2.

Ich öffne das Rollo und schau hinaus
Alles leuchtet, will in mein Herz
dort wachsen und wuchern
bestricken und becircen
wie die Knospen im Baum
die darauf warten, bald blühen zu dürfen

Ich öffne das Rollo und schaue hinaus
möchte baden im Licht
goldene Seelenwärme aufnehmen
mich wiegen im Wind
der den Baum umschmeichelt
und auch mich liebkost

Aurora, die auf dem Seil tanzt 11

7.3.

Lieber Freund,

meine Seele weint und das Herz tut weh. Manchmal lache ich trotzdem, denn man kann nicht immer traurig sein und vor Wehmut ganz schwach. Und dann schaue ich zum Fenster hinaus und sehe, dass der Apfelbaum treibt und die Osterglocken mir ihr freundliches Gelb schicken. Ich sehe die Veilchen unter den Heckensträuchern und viele bunte Krokusse. Ich denke an Ostern und schmücke mein Haus mit Blumen. Dann werde ich ganz leicht, öffne weit das Fenster und lasse meinen Bruder den Wind hinein. Ich mache mir Musik, lausche verschwimmenden Klängen und tanze selbstvergessen bis ich erschöpft bin.
Und dann höre ich die Amsel singen, so süß, dass mir das Herz schwer und leicht zugleich wird, und die Tränen fließen. Manchmal weiß ich nicht, ob vor Glück oder vor Kummer.
Verstehst du mich? Ich sehne mich nach etwas, dass ich nicht bekommen werde, und ich schaffe es nicht, mit mir ins Reine zu kommen. Manchmal hasse ich mich dafür, schimpfe mit mir, aber mein Herz lässt sich nicht betrügen. Es lässt sich nichts ausreden und es vergisst nicht. Verstehst du mich? Ich verstehe mich nicht: es ist Frühling, die Luft mild und die Tage sind schon länger.

Und ich? Ich bin ein trauernder Kloß, werde älter, meine Jugend verschwindet. Ich frage mich, wie lange noch das Seil mich trägt. Ich muss raus aus diesem geschlossenem Kreis, noch einmal etwas neues wagen. Lieber würde ich mit einem Gefährten gehen, aber da ist niemand.

Kennst du diese verzehrende Sehnsucht, nach etwas, von dem du noch nicht einmal weißt, was es ist? Du gibst ihm tausend und einen Namen, und keiner passt wirklich. Alles viel zu ungenau. Niemals schafft die Sprache es, auszudrücken, was genau ein Mensch empfindet.

Ich rolle als Trauerkloß übers Seil – immerhin muntert mich diese Vorstellung auf – das hat was, deine Aurora

Nur eine Tulpe im Strauß, gestern!

Werde ich der Tulpe in ihrem Wesen gerecht, wenn ich mich davon tragen lasse zu Erinnerungen, in Geschichten und Gedanken? Wie Seide schimmert ihre Blüte.
Da war mal ein kleines Mädchen, das wünschte sich nichts mehr, als ein Prinzessin zu sein. In ihren Gedanken lief sie der Mutter, dem Vater, des Geschwistern und auch allen anderen davon. Oft war sie zwar sichtbar anwesend, aber mit dem Geist in einer ganz anderen Welt.
Dort, in Adianopulis, war immer Frühling. Das Gras wuchs stark und üppig grün. Blumenelfen bevölkerten die Hecken. Es war eine lange Hecke unter dem blauen Himmel, über den nur hin und wieder eine Wolke schwebte. Ein leichter Wind wehte über das Gras. Das Mädchen trug weite, seidene Röcke, flamingorot changierend und blütenweiße Hemdchen mit Puffärmeln. Für ihre langen, dunklen Haare flocht sie bei jedem Besuch einen Kranz aus Blüten Die Röcke bauschten sich im Wind. Das Mädchen, das so gerne eine Prinzessin sein wollte, hatte einen Begleiter. Es war Adinos, der weiße Riesenhase. Wo sie auch ging, wanderte und tanzte, da war er an ihrer Seite. Er passte auf, dass sie der Hecke nicht zu nah kam, denn die Dornen hätten ihre seidenen Gewänder zerfetzt. Und überhaupt, er konnte gut zuhören mit seinen langen Ohren. Oft vertraute die kleine Maja sich dem Hasen an. Sie klagte über die raue Welt, in der sie zu hause war, sprach über das Unverständnis anderer Mädchen und darüber, dass sie keine Freundin hatte. Die schönen Sachen erzählte sie auch, von der Mama, die sie lieb hatte, dem kleinen Bruder, der noch der Wiege lag, der Klassenlehrerin, die ihr Tulpenbild gelobt und an besonderer Stelle im Klassenzimmer aufgehängt hatte. Maja konnte wunderbar malen. Regelmäßig erinnerte Adinos Maja daran, dass sie zurück kehren müsse, um Aufgaben zu erfüllen, die sie nur in der anderen Welt erfüllen konnte und die wichtig waren, um zu wachsen und erwachsen zu werden, irgendwann. Auch gab es in Adianapolis nicht die rechte Menschenkost.

Dunkle Tage

lichtverschluckte tage ducken sich
unter dem weißen himmel
skurile baumgestalten staken in stunden
spießen sekunden auf
zeit dehnt sich über den rand
raum darin, endlos
still und schweigend ruht sich leben aus

Ich möchte anschreien gegen ungezählte künstliche Lichter, die mir die Dunkelheit der langen Nächte rauben, mich um den Schlaf bringen, meine Träume überbelichten, Vorfreude schmälern.
Wie soll der Fremde mein Licht finden unter all den ungezählten Lichtern und künstlichen Sonnen, die flackern und blinken?
MARIE’s Leitstern, wo ist er geblieben?

Wie soll ich neu werden unter den wechselnden Monden, bis der Frühling kommt?

Dennoch…

Als ein kalter Wind die alten Blätter über den Asphalt fegt, versteckt sich der Frühling in einer Mispel- die in einem alten, knorrigen Baum baumelt – und schaut sehnsüchtig hinauf zum winzigen Blau im großen Grau.
Über den Gartenzaun lugt ein blühender Mandelbaum, und hinter der Hecke hat sich der Weißdorn  in eine weiße Wolke verwandelt. Das Klopfen des Spechts lässt aufhorchen und die Trauerweide wäscht unbetrübt immerzu ihre langen, gelben Flechten im Teich. Die neugeborenen Zicklein  springen unbekümmert  über Stock und Stein.

FRÜHLING

Was rauschet, was rieselt, was rinnet so schnell?
Was blitzt in der Sonne? Was schimmert so hell?
Und als ich so fragte, da murmelt der Bach:
„Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist wach!“

Was knospet, was keimet, was duftet so lind?
Was grünet so fröhlich? Was flüstert im Wind?
Und als ich so fragte, da rauscht es im Hain:
„Der Frühling, der Frühling, der Frühling zieht ein!“

Was klingelt, was klaget, was flötet so klar?
Was jauchzet, was jubelt so wunderbar?
Und als ich so fragte, die Nachtigall schlug:
„Der Frühling, der Frühling!“ – da wußt‘ ich genug!

Heinrich Seidel

(Fotos: Entlang der Salm)

Es naht, das blaue Band

alles beginnt zu leben und sich zu regen
es steigt der saft im stamm
die kleinen schmetterlinge im bauch
sprudeln wieder ins blut
sektlaune, champagnerlust
flirten und liebelei-anhimmeln
die ersten lerchen im feld und gurrende tauben
die bäume atmen ein und aus
weben um sich herum
eine aura aus licht
und in den büschen
wolken in weiß, rosa und gelb
konturen sind weich geworden
hoffnung und lebenslust liegen in der luft
verknüpfen sich mit dem blauen band
das schwingt und kreist und dich mitreißt
zu höhenflügen