am 18. 11.20
Er hat es mir erzählt, begeistert, wild gestikulierend und laut, wie es mitunter seine Art ist, mit Augen, die ich nur noch selten so strahlen sehe.
„Hast du den Mond gesehen heute?“ fragt er mich, und ich schaue hinaus und sehe den Mond, eine schmale, silberne Sichel, die mich lächeln lässt. Neumond ist noch nicht lange vorbei, denke ich. Und er erzählt weiter:
„Als ich draußen war, ging gerade die Sonne unter. Ich schaute zum Himmel und sah den Mond, und mitten durch ihn hindurch flog in diesem Augenblick ein Flugzeug. Beide orangerot beleuchtet von der tief stehenden Sonne, orangerot auch der Kondensstreifen, den das Flugzeug hinter sich herzog. Ein Superbild wäre das geworden, hätte ich die Kamera dabei gehabt.“
“ Ja, schade,“ antwortete ich “ mal es doch, dein imaginäres Foto!“
Foto
6.11.20
Bevor der Tag mich in seine Fänge nimmt
dieser Morgen, der alles verspricht
der aus dem Nebel aufsteigt, wie eine Vision
– ähnlich dem schwarzem Negativ von früher
im Entwicklerbad
aus dem sich langsam die Konturen schälen –
eine weiche Umarmung – pudrig und zart
die der Seele schmeichelt
und eine Weile die Zeit vergessen lässt
um danach kraftvoll und gestärkt
in den Tag hinein zu gleiten
den Kopf übervoll mit gutgelaunten Ideen
dieser Morgen, der alles verspricht
bevor der Tag mich in seine Fänge nimmt
Selbstbildnis 15
Mit Bildern kann ich nicht dienen, so reihe ich Wort an Wort und übe mich darin, ein Bild zu schreiben, ihm Farbe zu geben von der Welt, wie ich sie sehe. Auch, um wie ein Foto den Augenblick festzuhalten, diesen einen in seiner alltäglichen Besonderheit.
Was mich reizt, im Alltag die kleinen Wunder zu finden, jeden Tag neu. So wie jetzt gerade, ich schaue hinaus, sehe die kleine Kohlmeise kopfunter in den Zweigen zwischen den letzten gelben Blättern des Apfelbaumes hangeln und nach Leckerbissen picken. Wie flink sie ist. Flugs, schon ist sie wieder weg.
Sonntagsrätsel
Gerade beim Stöbern in meinen digitalen Fotos bin ich auf dieses Foto gestoßen:
Habt ihr eine Idee, was das sein könnte?
Vielleicht fällt dem ein oder anderen von euch ja auch ein Vers, ein paar Zeilen oder eine kleine Geschichte dazu ein.
Viel Freude beim Rätseln!
Ich liebe Rätsel
Spurensuche, Claire sucht Marie(2)
Tag 2
Liebe Marie,
nun bin ich schon seit gestern in deiner Wohnung. Ich schaukelte in der Hängematte und versuchte, mich an dich zu erinnern. Mir war, als habe ich etwas Wichtiges übersehen. Ich grübelte, aber mein Kopf streikte. Er reagierte mit Schmerz – ein spitzer Schmerz, der im Nacken begann und sich wellenförmig nach oben in den Schädel ausweitete. Zum Glück fand ich in deiner Hausapotheke eine Tablette. Rostig verfärbt sprudelte das Wasser aus dem Hahn. Ich ließ es lange laufen, bevor es klar wurde. Um mich abzulenken schaute ich – wie immer – deine Post durch. Dabei fiel mein Blick auf einen zartblauer Brief mit dem Vermerk „eilt“. Der unverklebte Brief kam von weit her. Ihn zierten Briefmarken mit exotischen Blumen. Die klare Handschrift auf dem Umschlag war mir sympathisch und ließ sich gut lesen. Ich öffnete den Brief. Ein Foto fiel heraus. Und mit ihm dünne, eng beschriebene Bögen.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mich das Foto eines Menschen – ein Alltagsfoto, schwarz-weiß – jemals zuvor so stark berührt hat. Laut und ungestüm klopfte mir das Herz. Was war mit mir los?
Ich will dieses seltsame Gefühl ausloten und bis zur Neige auskosten: Ich lege das Bild wie einen Talisman unter dein Kopfkissen, auf dem ich schlafen werde heute Nacht – nehme es mit als Pfand für die Träume . Wer weiß, welche Antworten ich morgen finde. Alles fließt – ich muss nichts übereilen – was geschehen soll, wird geschehen. Den Brief werde ich morgen lesen.
Seltsam getröstet, Claire