Wurzeln 11

„Ich bin beschämt,“ denkt Marie, und so fühlt sie sich auch. Der Kopf hat sich gesenkt, und die Kehle ist wie zugeschnürt „stehen bleiben soll ich, nicht weiter gehen, verwurzeln wie ein Baum, genau an diesem Platz.“
Etwas hält sie fest und lässt sie nicht los- Hat sie vielleicht schon Wurzeln gezogen? Fremd ist das alles! Flügel wären ihr lieber gewesen.
„Marie, bleib stehen!“ schreien die Stimmen in ihrem Ohr.
Marie ist gerannt und gerannt – immer, fast ihr ganzes Leben lang – jetzt muss sie stehen bleiben. Kein Rausch, mit dem sie vorbei fliegt, keine Fluchten in andere Räume, nicht ständig diese Eigenbewegung.
Jetzt kreist es um sie, fließt an ihr vorbei, lässt sie zurück, bewegt sich von ihr fort.
Was lernt Marie?
„Die Dinge bewegen sich auch ohne mein Zutun.“
Marie packt nicht zu, nimmt die Dinge nicht in die Hand, lenkt nicht, greift nicht nach etwas.
Beschämt steht sie da, nutzlos scheinen ihr die Hände, die nicht mehr wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Und schwer werden die Beine, die Wurzeln treiben.
Leer! Aber in welche Tiefen graben sich die Wurzeln?
Marie fürchtet Abgründe. Vielleicht ist sie ja deshalb immer unterwegs gewesen. Von Ort zu Ort; von Ziel zu Ziel.
Schwer fällt es ihr, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun, nichts anzupacken, nichts neu zu beginnen. Bleiben und Ausharren!
Die Wurzeln halten sie fest. Um ihre Achse dreht sich die Welt.
Sie steht und steht, vergisst Minuten, Stunden, Tage.
Der Kopf wird leer. Ein weißer Raum, lichtgefüllt.
Sie hat losgelassen.
Was sie verwundert noch dachte im letzten Aufbegehren:
„Innen wie außen gleich, es bewegt mich.“
Die Reise ist noch nicht zu Ende.

Selbstbildnis 3

Liebe MORGANA,

die Morgenröte grüßt dich. Ich bin auf der Insel, war es schon immer und habe mich in den Wellen des Ozeans verloren.
Dieses Funkeln, viel zu schön, viel zu viel des Lichtes, Irritation!
Aus dem Schatten der Hecke zu treten, um sich ins offene, ungeschützte, weite Meer zu trauen, zu viel, überwältigend.
Jetzt wieder an Land, den Wind auf der Haut, die geschlossenen Augen der Sonne entgegengereckt, Regenbögen unter meinen Lidern. Wie es mich streichelt, wie zärtlich der Wind mich trocknet. Ich werde mich wieder einsammeln, ganz langsam. Werde mich besinnen.
Es aushalten, dieses Zuviel, diese Fülle.
Ich hatte vergessen wie es ist, aus der Fülle zu schöpfen. Die Insel ist klein, eine Vogelinsel mit Leuchtturm. Kein Traumtänzer zu sehen. Aber brauche ich den? Fatamorganen, Nachtgeplärr, Fluchten. Gruß, AURORA

Ausgesperrt

Ausgesperrt eine Weile, die kleinen Fluchten
statt dessen in die Leere geblickt.
Nicht, dass da nichts wäre…
wie eine Katze geräkelt, müßig
im Sommersonnenschein
Wärme getankt und Licht
Düfte und Farben geerntet
Aber
hinter dem Paravent aus verblichenem Holz
steht der Koffer gepackt, bereit zum Gehen
Niemand muss bleiben, wenn das Herz weiter will
Der Griff liegt fest in meiner Hand
Ich schaue mich nicht um!