Vom grünen König 1

So beginne ich:
Medusa ist mein Name. Ich träume weiter und lasse meine Worte zu euch sprechen:
Der grüne König schlummert am Grund des Meeres.
Seine Worte sind schon lange verklungen.
Die kleinen Fische in den Korallenriffen staunen und huschen durch sein üppiges Algenhaar, so als sei es Gebüsch. Sie spielen Verstecken darin.
Eine kleine Nixe schwimmt heran und kitzelt ihn am Kinn. Er wacht nicht auf.
Da nimmt sie aus ihrem Schatz kleine Perlen und flicht sie in die wallende Mähne und den gelockten Bart.
Als das den König auch nicht zu wecken vermag, klatscht sie in die Flossenhände und besteigt kurz darauf eine Seepferdchenkutsche. Das Gefährt trägt sie zum perlmutternen Wasserschloss.
Dort nimmt die kleine Nixe eine zierliche Flöte aus einem Schilfkorb, der an den Dachsparren hängt. Die Flöte ist kunstvoll aus Bambus geschnitzt. Einmal kam ein junger Prinz aus den östlichen Meeren zu Besuch. Er brachte die Flöte mit und lehrte die Nixe das Spielen darauf. Aber das, verehrte Zuhörer, ist eine andere Geschichte.
Die Nixe kehrt zurück zum grünen König und flötet ein Lied .

Wie es aber auch gewesen sein könnte, das erzähle ich euch morgen.

Vom grünen König, die Dritte

Einst traf ich Katharina. Sie war traurig. Ich tröstete sie und kämmte ihr das kastanienbraune Haar mit einem goldenen Kamm.
So kam es, dass sie mir eine Geschichte erzählte:

„Der grüne König lebte wie ein Fisch im rubinroten Meer. Ab und zu wurde es ihm langweilig in seinem Reich am Grund des Ozeans. Er sprang hoch über den Wellen, wie ein Delphin. So sah ich ihn an jenem Tag, als ich mich entschlossen hatte, einem Ruf zu folgen, den ich in meinem Inneren gehört hatte. Ich lieh mir von den Fischern im Hafen ein blaues Boot und segelte hinaus zu der kleinen Insel hinter dem Horizont.
Wenn ich gewusst hätte, was mit mir geschehen wird, ich weiß nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte, mich diesem Abenteuer zu unterwerfen.

Der Fisch und ich – unsere Blicke trafen sich und etwas schwirrte plötzlich durch die Luft: regenbogenfarbige Liebesäpfel.
Da war etwas, das hatte ich noch nie erlebt.
Kennst du das Gefühl, endlich nach langer Reise angekommen zu sein, und zu begreifen, was es heißt, zu Hause zu sein?
Für einen Menschen, der vor langer Zeit sein Zuhause verloren hat, ist das wie ein Wunder.
Der Fisch war riesengroß und verschlang mich mit einem Biss. Nichts hatte ich ihm entgegen zu setzen, denn die Liebe, die mich ihm verband machte mich wehrlos. Eine Liebe, die anders ist, als die zwischen Mann und Frau.

Der Biss tat nicht weh. Eine spiralförmige Rutschbahn wie aus rosaroten Perlmutt führte mich in den inneren Garten des Fisches. Dort lebte ich eine Weile. Es ging mir gut, denn der Fisch verstand mich, wie kein anderer und nährte mich mit allen seinen gesammelten Worten. Ohne es zu wissen, habe ich schon immer darauf gewartet. Begierig labte ich mich an ihnen, konnte nicht satt werden. Ich wuchs, und es wurde enger um mich herum. Schon bald füllte ich den gesamten Garten aus. Ein wenig später konnte ich kaum noch meine Glieder bewegen.

Der Fisch verlor seine Worte. Ich lag ihm schwer im Magen, und eines Tages spie er mich aus. Ich flog durch die Luft zurück in den Hafen, wo mich keiner vermisst hatte. Ich war ganz allein, fühlte mich verloren und konnte vor Kummer kaum atmen. So setzte ich mich in den sommerwarmen Sand, bis eine Möwe sich neben mir nieder ließ und mich tröstete.

Der Schmerz brandete in mir wie Ebbe und Flut. Es wurde Nacht und wieder Tag. Als sich die Nacht zum dritten Mal über mich senkte, hatte ich keine Tränen mehr. Zum Glück wurden die Gezeiten des Schmerzes um den Verlust flacher. Wäre die Möwe nicht bei mir geblieben, mir wäre das Herz gebrochen.
Das ist nun sieben Jahre her – eine lange Zeit – aber die Sehnsucht ist geblieben. Ab und zu gehe ich zum Strand und schaue hinaus auf die Wellen: und manchmal für einen kleinen Moment sehe ich ihn, und er sieht mich – und die Liebesäpfel fliegen – tragen trotz der Ferne eine beglückende Botschaft. “

Katharina hatte sich unter meinen kämmenden Bewegungen allmählich entspannt. Ihre Geschichte plätscherte dahin, wie die unterirdischen Quellen einer vergessenen Höhle. Mit dem gleichbleibenden Auf und Ab der Stimme, fiel sie in eine Art Trance.
Als die Geschichte endete waren auch die langen Locken gebändigt und ich sprach:

„Komm, ich nehme dich mit in die Gärten der Hesperiden. Dort bette ich dich unter dem Baum mit den goldenen Äpfeln, und es wird heilen, was heilen muss.“

Ein hungriger Geist

Er hat lange geruht tief in der Erde unter den fließenden Wassern, am Ende der Welt. Etwas hat ihn geweckt. Er schnellt hoch, huscht an den Fischen vorbei und sprengt die Steine. Hungrig ist er und wach.
Er möchte Bäume ausreißen.
Was hat ihn nur geweckt?
Ein alter Traum, fällt ihm plötzlich ein: früher in alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, ist er als blauer Fisch durch Bäche, Flüsse und das Meer geschwommen, hat viel erlebt und seltsame Wesen getroffen bis er auf dieser Insel strandete, deren Licht ihn gefangen nahm.
So gefangen, dass er zum Vogel wurde, und als er alles gesehen, erkannt und in sich aufgenommen hatte, ruhte er sich als Mensch unter einer Eiche aus.

Überall auf der Insel hatte er eine seiner blauen Federn fallen lassen. Wenn nun ein kleiner Mensch sich bückte, um die Feder vom Boden aufzulesen , dann geschah etwas Merkwürdiges mit ihm : Er wurde von dem Wunsch beseelt, in keiner Form gefangen zu sein. Der Ruf wilder, unbeschnittener Freiheit wuchs in ihm, machte sich breit in seinem Kopf, sprengte alle Grenzen, traute sich in Himmel und Hölle, in Abgründe ebenso, wie in tiefe Furchen verdorrender Felder und in paradiesische Gärten, die mitten in der Wüste von unterirdischen Wasserkanälen gespeist wurden.

Der Geist erinnerte sich und weiß nun wieder , was seine Aufgabe ist:
sich wandeln, verändern, nicht stehen bleiben, Türen öffnen und Federn lassen, damit der wilde Funke Freiheit, kreativ und unbändig, überall schöpferisch wirken kann.

FISCH SEIN

(nachgetragen zu „Stimmung zwischen den Zeiten“)

Ach wäre ich doch ein kleiner roter Fisch.
Dann würde ich durch den nassen Tag schwimmen und mit den Regentropfen um die Wette laufen. Ich würde in verbotenen Tümpeln nach Köstlichkeiten tauchen, in die Wolken springen und darin genüsslich baden. Und auf den grauen Asphalt, der sich unter dem tiefen Himmel ins Unendliche weitet, würde ich glitzernde rote Schuppen streuen.
Wäre ich ein Fisch, dann wäre heute ein Glückstag und ich putzmunter in meinem Element.

Es schmunzelte der Fisch

Und die Wellen brandeten an den Strand – nah der Dünen wuchsen mir Flossen, und ein Schuppenkleid hüllte mich ein. Das wogende Wasser nahm mich mit. Ich wuchs, wurde riesengroß. In der neuen Welt fand ich meinen Platz, doch ich war allein. Einen Fisch wie mich gab es noch nicht. Und ich suchte verzweifelt zwischen Algenwäldern und Muschelbänken. Kleine blausilberne Fischchen wirbelten wie Schleier um mich herum – Ringe über Ringe – sich weitend.
Im Bauch wuchs Raum – hungernd – einer leeren hallenden Höhle gleich. Dann sah ich dich: wie du im Wasser gegen die Strömung getanzt bist und mich durch Algen Feueraugen anblitzten – augenblicklich stand ich unter Strom – Flossen wedelten wild.

Mein Maul öffnete sich vor Staunen und schwups – schwammst du hinein, als sei nun dein Zuhause in mir – in dem leeren gierigen Raum. Nun war ich nie mehr allein – es bewegte sich in mir, purzelte quirlig im Bauchraum, bescherte mir fremde Gefühle – auch Schmerz – nie warst du ruhig. Du bist weiter gewachsen.
Es ging lange gut, und wir wuchsen aneinander. Während Flossenstöße Erdbeben in meinen Eingeweiden auslösten, verlorst du die Worte und wurdest stumm. Nur noch Reibung spürte ich.

Wann wurde der Raum zu eng? Wuchs ich nicht schnell genug? Ich war ja schon groß wie ein Wal. Du tobtest, deine Ausschläge schmerzten heftig, als zwischen innen und außen kein Raum mehr war, und wir nicht mehr unterscheiden konnten zwischen DU und ICH – fragte ich mich, verzehrtest du mich oder verschlang ich dich?

So spuckte ich dich aus – fast wärst du in meinem Hals steckengeblieben. Traurig, aber doch erleichtert schwamm ich zum Strand zurück, verlor Schuppenkleid und Flossen, überquerte auf Beinen die Dünen und sah Land.

Vielleicht – irgendwann, wer weiß , werden mir Federn wachsen und Flügel, und ich fliege hinaus ins weite Himmelsblau.

Nachsatz:

Ab und zu besucht er mich zwischen Himmel und Erde, einmal als Fisch – dann schwimmen wir ein paar Runden miteinander – ein anderes mal ist er Vogel – ich darf auf seinem Rücken sitzen, und er nimmt mich mit – himmelan – manchmal lasse ich ihn hinein in mich – aber immer nur kurz – für einen kleinen Augenblick.

@findevogel