DAS MEER

Bewegt vom Sturm bin ich heut nicht gelassen. Ich raune, rausche, springe von Wellenkamm zu Wellenkamm. Mein Blick ist heute grau. Die Wellen tragen weiße Ränder. Wo Meer und Himmel aneinander stoßen, ist keine Grenze mehr. Ganz ohne Horizont ist alles endlos weit, scheint alles möglich. Alle Wege scheinen offen. Ich denke nicht, ich bin und bleibe, für dich vielleicht Parkett, auf dem Gedanken Kapriolen schlagen. Für andere dunkler Schlund, der alles frisst und schluckt. Wo Neptuns Reich im Schatten wächst, wirst du die schönsten Zaubergärten finden und Lebewesen, die dich staunen lassen. Die Fantasie, genährt durch viele Mythen, hat freie Bahn zum Fabulieren. Das Boot, ein Tausendsassa, Spielgefährte, treibt weiter und wird sein Ziel bald finden. Der blauer Wal ist mit im Spiel, vielleicht als Hüter von dem kleinen Boot.

ZERBRECHLICHER INHALT

Ich hab ja gestern von einem blauen Wal geträumt, wie platziere ich ihn jetzt in der gestrickten Geschichte? Wo kam der blaue Wal her? Ich habe schon mal einen gesehen, ich werde später darüber nachdenken. Jetzt muss ich stricken. Der blaue Wal taucht neben dem Boot auf und ab. Ich glaube, er passt auf das Boot auf. Noch weiß ich nicht, mit welchen Ziel das Boot aus Binsen unterwegs ist, kenne seinen Inhalt nicht.
Ha, ich werde mich mit dem blauen Wal verbinden. Dann kann ich auf seinem Rücken sitzen und ins Boot schauen, wenn er hoch springt. Da ich selbst die Geschichte erzähle, und genug blaues Garn habe, ist alles möglich. Ich springe also ohne lange zu überlegen mitten in den Ozean hinein, es ist ganz schön kalt und stürmisch, aber ich bin eine gute Schwimmerin und werde gleich vom Wal getragen. Woher ich das weiß, weil ich die Geschichte erfinde und meine Geschichten meist ein positives Ende haben. Wobei man sich mitunter darüber streiten kann, ob nun eine Ende wirklich positiv ist oder nicht.
Da taucht er auch schon auf, es ist ein kleiner Wal, aber groß genug um mich zu tragen. Ich blicke ihm in die Augen und flehe ihn an. Er versteht auch ohne Worte was ich möchte. Er schwimmt nah an mich heran und reicht mir seine Rückenflosse. Ich ziehe mich hoch auf seinen Rücken. Er springt und ich sehe. Im Boot liegt ein Baby. Das kann ich nicht alleine reisen lassen. Vom Rücken des Wales, lasse ich mich in das Boot gleiten. Das Baby ist winzig und schläft. Ich werde ihm zu schauen, wie es aufwacht. Ich lächle den Wal an. Er wird uns den Weg weisen, damit wir schnell in einem sicheren Hafen landen können.
Plötzlich erwache ich, bin beim Tagträumen wohl eingenickt. Jetzt habe ich Hunger. Zum Glück habe ich gestern vorgekocht. Mir ist von meinem Ausflug in den Ozean ganz schön kalt. Eine dicke Suppe und starker schwarzer Tee mit viel Kandis werden mich aufwärmen.
Da war doch noch was. Aber was, ach ja der Wal, ich habe schon mal einen gesehen. Das war auf einer Kreuzfahrt im Norden. Ich muss mal die Fotos durchsehen, denn ich habe ihn fotografiert, wenn ich mich recht erinnere.

Selbstbildnis 2

Ein bisschen bin ich aus der Übung, aber das wird schon wieder!

Wilfried Fink: „Heilen muss einzig die Illusion, wir seien voneinander getrennte Wesen.“

Ich versuche mir vorzustellen, wie das ist, sich verbunden mit allem zu fühlen und merke schnell, dass mir das mit dem Denken nicht gelingt. Das Denken verschärft das Gefühl des Getrenntseins. Ich muss es wohl spüren und fühlen. So konzentriere ich mich auf mein Herz, lasse es licht und weit werden, aus mir heraus und über mich hinaus wachsen. Plötzlich kommen die Bilder.
Ich sehe mich in einem Kreis aus Licht, der von feinen Tentakeln umgeben ist. Ich spüre damit in den Raum hinein zu den Blumen und weiter wachsend durch die Türe hindurch in die anderen Räume hinein.
Dort schlafen die restlichen Familienmitglieder. Ich fülle das Haus aus, wachse weiter, durch die Haustüre hindurch, zu den Bäumen und Pflanzen draußen, in die anderen Häuser hinein mit allen Menschen und Tieren.
Hier lebe ich und alles atmet im gleichmäßigen Rhythmus: die Erde, der Himmel, die Menschen und Tiere, die Pflanzen, der Wind.
Weiter wachse ich über die Grenzen der Stadt, des Landes, über Alpen und Meer – alles nehme ich auf, mit allem atme ich ein und aus, die Dunkelheit der Nacht trägt mich bis ich die ganze Erde in Licht und Liebe hülle.

Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, was ich tu, ob ich bin oder etwas in mir ist. Zeit und Raum sind aufgehoben. Es gibt keine Grenzen. Alles ist gleichzeitig. Nur das Pulsieren in und mit allem bleibt, ein Heben und Senken:  der Herzschlag und der große Atem, Ebbe und Flut, Gezeiten; Wind und Orkan.

Ich glaube, es ist ein Weg, der einmal begonnen, sich im Bewusstsein Raum schafft, Türen öffnet, die Sensibilität für Ausweitung und Grenzüberschreitung (über sich selbst hinaus) schult und stärkt. Die Kraft der Visualisierung wächst durch Übung.

Post an den Traumtänzer

Hallo Traumtänzer,

es ist so viel geschehen heute, lieber Freund. Wo soll ich beginnen? Erst einmal war da dieser Frosch, der mir über den Weg lief und den ich fast mit meinem Fahrrad überfahren hätte. Zum Glück sah ich ihn so rechtzeitig, dass ich noch bremsen konnte. Dabei kam ich ins Schlingern, denn jemand hatte eine Bananenschale auf die Straße geworfen. Ich kippte um und verhedderte mich in der Kette. Eitel, wie ich war, hatte ich ja unbedingt meine neue weite Hose – orangerot mit lila Punkten – anziehen müssen, ohne Klammern versteht sich. Die Luft war lau und wohin ich auch sah, überall brachen die Blüten auf.
Nun saß ich also mit dem schmerzenden Hinterteil auf der Straße und hing mit der Hose in der Kette. Die grüne Haarspange war verrutscht und der lange rosa Seidenschal hatte sich heimlich davon gestohlen. Für einen Augenblick haderte ich mit dem Schicksal, doch dann begannen meine Finger damit, die Hose vorsichtig aus den Gliedern der Kette zu befreien. Plötzlich hörte ich ein Lachen, erst ganz leise, doch es wurde immer lauter, bis es in meinen Ohren schmerzte.
Ich schaute auf: ein Riesenfrosch stand vor mir. Für den Augenblick war ich perplex und dachte, einer Fatamorgana aufgesessen zu sein. Ja ich fragte mich tatsächlich nach meinem Verstand.
Vielleicht hatte sich ja von jetzt auf gleich ein Abgrund zwischen mir und meiner Welt geöffnet, in den ich hineingefallen war, denn in meiner normalen Welt gab es keine grünen Monsterfrösche, die mich unverdrossen auslachten. Du kennst mich ja. Aurora hat weder vor dem Hochseil noch vor sonst etwas Angst. Ich wurde wütend und schrie den Frosch an:

„Du verdammtes Ungetüm, verschwinde aus meinem Blickfeld, oder ich hau dir eins über die Rübe.“
und schon hielt ich den kleinen bunten Sonnenschirm, den ich manchmal auf dem Seil zum Balancieren benutze, in der Hand und drohte mit der Spitze. Ein wenig, das muss ich zugeben, kam ich mir vor, wie ein weiblicher Don Quichotte, der vor hat, mit den Windemühlenflügeln zu kämpfen.

Meine verbale Attacke verfehlte ihr Ziel, denn der Frosch war nun groß wie das Hochhaus im Nachbarort mit den fünfundzwanzig Etagen, das von weitem aussah, wie ein Risenzeigefinger, der gleich in Wolke Nummer sieben stechen wird, um sie zum Platzen zu bringen, und dem es völlig gleichgültig bleibt, wer da oben liebesverschlungen gerade sein Bett gefunden hat.

Meine Stimme erreichte die Hörvorrichtungen des Frosches nicht, denn ich war ja unten am Boden, inzwischen aus der Kette befreit und aufgerichtet, aber eben klein. Ich hörte ihn noch immer lachen, und das Lachen war so mächtig, dass die Bäume mit ihrem frischen Laub sich hin und her bewegten, als sei ein Sturm aufgezogen. Aber mit einem hatte der Frosch nicht gerechnet, denn er konnte mich ja nicht mehr sehen. Ich stieß die Spitze des Schirms in seinen Bauch und es macht Pftt!

Der Frosch sackte in sich zusammen und seine Plastikhaut begrub mich unter sich.
Zwar dauerte es eine Weile, bis ich mich schirmrudernd aus dem grünen Gespinst befreit hatte, aber zum Glück hatte der Frosch nur aus Luft bestanden.
Ich schmunzelte, als ich am Boden eine kleine Krone mit Perlen auf den Zacken fand, die ich als mir zustehender Lohn, in meine gehäkelte Hippie-Tasche mit den regenbogenfarbigen Rosetten steckte.
Ich nahm mein Rad und schob es nach Hause, stellte es in den Keller und beschloss, es mir für heute bei Schokolade mit Sahne und Keksen gemütlich zu machen.
Doch was war das? Im Badezimmerspiegel sah meine Haut so grün aus und die Haare erst. Sie ringelten sich wie grüne Schlangen aus der Haarspange heraus.
Ich fühle mich kerngesund, und werde jetzt kein Drama daraus machen. Vielleicht ist der Spuk ja morgen, wenn ich aufwache, endgültig vorbei. Bitte denk an mich und drücke mir die Daumen.

Es grüßt dich deine Aurora

die heute auf dem Hochseil der Fantasie spazieren gegangen ist.