Weißt du es war noch Nacht – jene besondere Nacht mit ihrem Hauch von Ewigkeit – als der Tag sein lichtes Haupt über den Horizont schob, wie eine Riesin mit wallendem Silberhaar und dem Vollmond auf dem Scheitel – ein paar Wolken zogen südwärts und brachten vom Norden her Frost. Der Himmel färbte sich rosenrot und ich dachte noch: was wird er bringen? Verderben und Tod oder die Hoffnung auf Frühling und Neubeginn.
Da kam der Wind und flüsterte in den Zweigen, und die Amsel suchte nach Futter unter dem Apfelbaum. Das hatte ein heranwachsender Schlingel den Vögeln gestern als Weihnachtsgabe ausgestreut.
Ein paar Spatzen waren frech, sie zankten den großen Vogel, versuchten ihn zu verscheuchen. Sie, die kleinen Spatzen in Scharen mit einem einzigen Ziel – Futterplatz – schafften es immer wieder, sich einzelne Körner zu stibitzen. Während die einen die Amsel provozierten, fraßen die anderen. So bekamen alle, was sie brauchten – die Kleinen und die Großen.
Ich schaute vom Fenster her zu – hörte, was der Wind den Zweigen erzählte – die große Geschichte von Wotan und seinem Gefolge, die in den rauen Nächten zwischen Heilig Abend und Dreikönigstag ihr Unwesen treiben – sah den Vögeln beim quirligen Treiben zu und schenkte der Riesin am Horizont in ihrem Rosengarten mein allerschönstes Lächeln. Ja, ich kniepte ihr zu, während von der Küche her Kaffeeduft herrüber strömte. Ich wollte die Zeit anhalten, diesen Augenblick in die Länge ziehen und seine Essenz wie das Mark von Hagebutten bewahren.
Erstaunt stelle ich fest: es geht! Im Gehäuse meiner Gedanken, dass wie ein Haus mit vielen Räumen ist, öffne ich die Tür zum kleinsten Raum ganz oben, und da leg ich ihn ins Regal zwischen Stollen und Honigkuchen, und für die Weihnachtsmaus lasse ich ein Stück Käse da.
Wann immer ich will, wenn ich es brauche, nehme ich den kleinen Silberschlüssel vom Schlüsselbund, gehe die steilen Treppen hinauf bis unter den Giebel und öffne die Tür: da finde ich ihn wieder, den Augenblick.