Satz 10
„Die junge Katze, die hier alles zum ersten Mal sieht, sie stand auf der Küchentreppe und witterte lange hinein.“
„Regenkatze“ von Sarah Kirsch (12.9.2003)
Mucksmäuschenstill schleicht sich Ida aus der Schlafetage die Treppe hinunter. Sie braucht kein Licht, findet den Weg blind. Ihre Füße tasten sich vorwärts. Die Erwachsenen dürfen sie nicht hören und sehen. Ida fürchtet, dass Mama schimpfen wird, wenn sie das Kind entdeckt. Es ist dunkel und Schlafenszeit. Im Haus sind die Stimmen erstorben. Nur die Uhr im Flur tickt laut. Aber es riecht so gut aus der Küche, nach Bratkartoffeln und Speck. Ida läuft das Wasser im Mund zusammen. Das späte Nachtmahl ist für die beiden Onkel bestimmt, die nach der harten Arbeit in Feld und Stall großen Hunger haben. Ida findet das ungerecht, sie muss sich abends mit einem Butterbrot begnügen. Heimlich hofft sie, dass in der Pfanne auf dem Kohleherd noch ein paar Schrieben geblieben sind, und die will sie jetzt naschen.
Jetzt hat sie das Ende der Treppe erreicht, ist im Flur angekommen. In der Küche brennt kein Licht mehr. Leise öffnet sie die Tür, geht zum Herd. Und tatsächlich, da ist noch ein Rest vom ausgelassenem Speck. Schnell in den Mund damit, Ida ist selig, und dann wieder zurück ins Bett.
Glück gehabt, niemand hat sie entdeckt.