Baumwesen 1
Schwester, ich falle, du fällst
wir fallen einander in die Arme
im Sinken Leben aushauchend
nicht einsam im Sterben
trostgebend, trostfindend
in einer letzten Umarmung
bevor wir zu Erde werden
und alles neu beginnt
Erde
Auf der Suche nach Schnee 2
In der Nacht hat der sich der Spalt über den Worten geschlossen und sie unter frisch aufgeworfener Erde begraben.
Wer sich der Erde nähert, hört sie noch wispern. Die Wolken lösen sich auf und verregnen den Tag. Es verschwimmen die Worte, die neugierig nach außen schlüpfen. Kleine Rinnsale und Kanäle schlängeln sich durch die braunen Felder, Gedanken tauchen auf und ab, fließen.
Wie gut die Erde riecht.
lasst uns schweigen, Liebste. Diese Zeit lebt ohne Worte und lässt der Sprache Raum. Im Stillwerden spüren wir den Dingen auf den Grund, fühlen ihr Sein, entwickeln und richten uns neu.
Bis der Regen zu Schnee wird, lasst uns die Worte meiden, Liebste. Manchmal führen sie nur weg von uns. Im Atmen der Welt liegt Größe, und wir sind Teil von ihr.
19.10.20
Singen und Klingen
tanzend die Zeit vergessen
unter den Bäumen
diesen Herbsttag genießen
in vergänglicher Fülle
Und sich eins fühlen
mit Wasser, Luft und Erde
dem roten Feuer
das lebhaft in dir lodert
und dich stetig voran treibt
Zum Barbaratag, eine kleine Geschichte
Heute werde ich Apfelbaumzweige in die Vase stellen, damit sie Weihnachten blühen. Und ich habe euch etwas mitgebracht:
Zwischen die Blumentöpfe auf der Fensterbank hatte jemand, vielleicht die kleine Lisa, eine gelbe Aprikose versteckt. Zwischen Gliederkaktus, Geldbaum und Usambaraveilchen hätte die Frucht ein verträumtes Leben führen können. Wäre da nicht die Sache mit den Jahreszeiten gewesen. Schon ziemlich verdorrt und runzelig, aber keineswegs faul – eher von süßer konzentrierter Essenz – fror sie nun erbärmlich. Es war kalt geworden und durch die dicke Steinplatte drang die Wärme nicht nach oben.
Leider hatte die Aprikose weder Beine noch Arme, mit denen sie sich aus ihrem kühlen Gemach hätte befreien können.
Inständig betete sie zu einem ihr unbekannten Gott um die Gnade, gefunden und gegessen zu werden.
Aber es kam viel besser, schließlich werden Gebete durchaus auch manchmal erhört.
An einem späten Novembermorgen nahm Käthe, Lisas Großmutter, alle Pflanzen von der Fensterbank, um die Scheiben zu putzen. Schließlich war morgen der erste Advent, und die Glasflächen verlangten nach glänzendem Sternenschmuck.
Käthe entdeckte also die vertrocknete Frucht und steckte sie, denn essbar erschien sie ihr nicht mehr, in die Blumenerde vom Geldbaumtopf.
Gemütlich streckte die Aprikose sich nun in der warmen Erde aus. Sie gähnte, und fiel so gleich in den schönsten Blütentraum.

Veränderlich
Wolke war ich eine Weile
dann regnete ich auf die Erde
in den Pfützen spielen Kinder
die Erde trinkt.
Wurzeln von Bäumen
saugen das belebende Nass
Nährendes steigt den Stamm empor
verdunstet über die Blätter
steigt
und wieder bin ich Wolke
für eine Weile

verschwommene sicht
wenn ich eine wolke bin
mit konturen und gewitterfarben
und es mich regnet
– ein auflösen und verschwimmen –
trinkt mich die erde mit meinem gesang
den ich singe, um zu berühren
den ich singe, um zu bleiben
als stimme unter allen stimmen
Gesang
Großer Atem
Mutter Erde
schenkt mir einen Ton
der lange klingt
so lange
bis ein andere Ton sich befreit
um mit mir zu klingen
zu singen
als Geschenk und Segen
an die Nacht und ihren Schutz
in der sich Leben entwickelt
und in den Tag hinein wächst
Der Nacht geschenkt 4
Zurück zur Mutter
wieder klein werden, todkrank
in ihren Arm gesunden
wieder wachsen
und gehen, weg gehen, verlassen
Ein Wanderer sein – das Sternenzelt über dem Kopf
durch jedem Schritt den Rhythmus der Erde mit gestalten
nicht bleiben und zuhause sein bei sich selbst
loslassen, nicht hängen bleiben
an der Angst vor dem Neuen
und sicher wissen
ich bin da, ich lebe
und finde was ich brauche
Foto: Blick in ein Schaufenster (Aachen)
Sonntagspracht
Der Sonntag hat Farbe angelegt
am Telefon die Stimme des Kindes
klingt hell und erwartungsfroh
ihm gehört die Welt und das Morgen
über die Dächer spaziert die Sonne
Knospen weiten sich prall
und das Gras, frisch ergrünt
streckt sich strotzend dem Himmel entgegen
da möchte ich Lerche sein
aus lehmiger Erde aufsteigen
und mich singend im Blau verlieren
22.1.2016
Der Frost beißt sich in die schneefreie Erde
Raureif formt bizarre Strukturen
Bin nicht vorbereitet auf den sibirischen Atem.
Kopfschmerzen!
An solchen Tagen sollte man Mützen tragen…
… und Handschuhe
Auf Feldern im Norden der Stadt tummeln sich Schafe.
Eine Riesenherde warmer, aneinander gekuschelter Leiber
Atemwolken schaffen Unschärfe.
Die kribbelnden Fingerspitzen sehnen sich danach
in warmes, wolliges Fell zu greifen
Die eisige Kälte macht wach, und ich spüre
wie lebendig ich bin.