Erlebnis

Neulich auf dem Rückweg nachhause, saß ich in an der S-Bahn und wartete auf meinen Anschluss. Ein ganz junges Mädchen, vielleicht 14, kam zu mir und fragte mich, ob es etwas für mich tun könne, wie Tasche tragen, Einkaufen oder Ähnliches. Als ich verneinte fragte sie mich, ob sie denn für mich beten dürfe.
Obwohl ich zunächst irritiert war und mich fragte, von welcher Sekte dieses Mädchen wohl komme, antwortete ich, ein Gebet wäre immer gut und könne nie schaden. Das Mädchen fragte mich danach, ob ich Sorgen hätte und wie es mir ginge. „Es geht mir gut.“ sagte ich und das war in diesem Augenblick auch wirklich so, und sie fragte mich noch nach meinen Namen, damit das Gebet persönlicher werde. Und dann betete sie laut neben mir für mich, bedanke sich im Gebet dafür, dass es mir gut gehe und ich gerade kein Problem habe und dafür, dass ich schon so lange auf der Welt sein durfte. Dann erbat sie Schutz für mich und bat darum, dass mir immer wieder liebevolle Menschen begegnen.
Ich war sehr gerührte und bedankte mich bei dem Mädchen. Zwei andere kamen noch dazu. Ich, neugierig geworden, erfuhr, dass sie ev. Christen sind, die sich augenblicklich in einem Sommerferiencamp aufhielten.
Sie erzählten davon, dass es hier wenig Christen gebe, die meisten Menschen nicht offen seien und sehr misstrauisch auf ihr Angebot reagieren würden. Zum Abschied lobte ich ihren Mut, einfach so auf wildfremde Menschen zuzugehen und bat sie, diesen Mut nicht zu verlieren.

Klar, ich weiß nicht genau wo die Mädchen sich warum aufhalten und was sie im Camp machen, ob sie nicht vielleicht doch einer Sekte angehören, aber sie waren freundlich, lebhaft und ein bisschen schüchtern. Ich glaube, auch für sie war es schön, auf mich zu treffen, die etwas annehmen konnte, ohne sich gleich misstrauisch abzuwenden. Ich bin davon überzeugt, dass ein Gebet, von wem auch immer gesprochen, nie verkehrt ist.
Wenn wir Menschen weniger misstrauisch wären und einander offener und vorurteilsfreier begegnen könnten, wäre unsere Welt schon ein wesentlich wärmerer Ort.

MARIENALTAR

Ein Foto, dass ich vor ein paar Tagen gesehen habe, geht mir nicht aus dem Kopf. Zwischen Feldblumensträußen vor einer buntgestalteten Wand, vielleicht war es auch eine Nische, stand eine kleine Madonna mit gefalteten Händen und im blauen Gewand. Offensichtlich handelt es sich um einen Maienaltar, an dem Maria, die Muttergottes verehrt wird. Das Foto hat etwas tief in mir Verborgenes berührt. Als ich Kind war in einem kleinen Dorf, nahmen mich meine Mutter und die Tanten mit zur Maiandacht, die alltäglich im Mai am Nachmittag in der kleinen Dorfkirche mit dem wundervollen Barockaltar stattgefunden hat. Der Seitenaltar wurde aus diesem Anlass liebevoll mit Blumen aus Wiese und Garten und vom Feldrain geschmückt. Zu Ehren Marias, der Mütterlichen, die gerade für Frauen mit allen Nöten um Schwangerschaft, Geburt, große und kleine Kinder, Ehe und Familie erste Anlaufstelle war, versammelten sich die Dorffrauen zu Dank-und Bittgebet und dem Gesang von Marienliedern. Ihren Segen erbaten sie und die Weitergabe von Bitten und geheimen Wünschen.
Maria, die Frühlingsgöttin, die ganz archaisch auch gleichgestellt mit der Erdmutter oder der großen Mutter gesehen werden kann, deren besondere Fürsorge den Frauen gilt, war die ideale Vermittlerin von Anliegen, die nur ein göttlicher Geist noch zu richten vermochte.
Im Verlauf meines Lebens entfernte ich mich weit von den römisch-katholischen Grundlagen, mit denen ich aufgewachsen bin, nicht aber von den spirituellen Wurzeln.
Dieses eine Foto beleuchtet wohl jene innere zärtliche Ecke in mir, die immer noch Maria gehört. Und so darf und soll es auch bleiben. Mein Zweitname ist schließlich Maria.
Ich bekam  ihn von meiner liebevollen und lebendigen Patentante, die in dieser inneren Nische gleich neben der Muttergottes sitzt. In unserer verzweigten Familie war sie die große Mutter, denn sie war immer da, wenn
geboren wurde, eine Mutter im Wochenbett oder Krankenhaus lag oder Feste wie Taufe, runde Geburtstage, Kommunion und Hochzeiten anstanden. Sie hatte das große Vertrauen aller Nichten und Neffen, die ihr gern etwas anvertrauten, was die Eltern nicht wissen oder über das sie mit den Eltern nicht sprechen konnten. Und was wir ihr erzählten, es blieb auch bei ihr.
Unsere Zuneigung hat sie für die eigene Kinderlosigkeit entschädigt, und im Advent glich ihr Zimmer einem Warenlager, denn sie beschenkte mit kindlicher Freude alle ihre „Kinder“.
Ich glaube, ich werde mir einen kleinen Marienaltar einrichten, eine kleine Ecke in meinem Zimmer, die mich mitten im Alltag immer mal wieder an ein meditatives Innehalten erinnert.