Nicht nur der Briefe wegen

AURORA erhebt sich aus der Nacht und breitet ihre Schleier aus. Sie ist erwacht aus tiefen Schlaf und füllt mit Energie den Tag.Mit federnden Tanzschritten betritt Aurora die Szene. Sie ist durch das Loch in der Hecke geschlüpft und steht nun vor einem bunten Zirkuszelt.

Wie ist sie nur hierher gekommen? Eben noch war sie zwischen den Zeilen eines Buches eingefangen. Ihre zierliche Figur streckt und reckt sich. Ganz steif fühlen sich die Glieder an. Sie schüttelt Buchstaben aus den weiten Ärmeln ihres bunten Flickenkleides. Selbst aus den langen Haaren purzeln Buchstaben, Silben, ja ganze Worte.

Sie schüttelt sich, so als sei sie ein Vogel, der sein Gefieder lüftet. Ja, sie plustert sich auf, wächst. Erst hebt sie elegant das rechte, dann das linke Bein, streckt und beugt das Fußgelenk und jeden einzelnen Zeh, der mit dem Fuß in ihren schwarzen Seiltänzerinnenschuhen steckt.

Sätze wollen ihr nicht über die Lippen tanzen, aber ein Lächeln strahlt aus dem alterslosen Gesicht. 

„Ich bin angekommen!“ denkt sie bei sich und hat schon die zwei gegenüberstehenden Bäume entdeckt, zwischen denen sie ihr Seil spannen kann. Es juckt in den Beinen. Am Liebsten möchte sie sofort. Zu lange schon war sie untätig und ohnmächtig im Buch gefangen.

„Na klar, ein Mensch hat sie erfunden,“  aber sie ist lebendig geworden und wollte ein Leben außerhalb der Gedanken und Schriftzeichen der Autorin leben. „Wie kommt ein Mensch eigentlich dazu, seine lebendig gewordenen Gedanken zwischen Buchdeckeln einzusperren?“ fragt sie sich und geht auf den Eingang des Zirkuszeltes zu.

Sie muss ihren Auftritt planen und erst einmal heraus finden, ob jemand im Zelt ist – sie hört nichts außer dem Blätterrauschen und dem Plätschern eines Baches in der Nähe – und ob sie hier erwünscht ist. In den tiefen Taschen ihres Kleides findet sie weiße Schminke, Jonglierbälle, ein robustes Seil, viele bunten Bänder, um das Haar zu bändigen und vieles mehr. Den Balancierschirm mit den Perlengehängen an den Schirmspitzen hat sie unter den Arm geklempt.

 

Vielleicht ist AURORA im Augenblick so fest in meinen Gedanken, weil ich im Urlaub ein Zirkusbuch gelesen habe: „Wasser für den Elefanten“ von Sara Gruen. Es wurde auch verfilmt.

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Marie trifft Aurora

Manchmal vergisst FRAU Geschichten, die sie mal geschrieben hat- Dabei ist es noch nicht so lange her, dass MARIE und AURORA aus ihren unterschiedlichen Büchern herausgetreten sind, um sich auf neutralen Terrain zu treffen.

Mein kunterbuntes Bloghaus

„Ruhig!“ flüstert Marie Aurora zu.
„Ruhig, wie willst du in Worte fassen, was dich gerade berührt und beseelt, wenn du nicht inne hältst?“
Aurora horcht und bleibt stehen, obwohl es sie schon wieder weg zieht.
Wohin eigentlich? Hier ist doch alles!
„Folge den Gedanken , nicht den tanzenden Füßen, die in roten Schuhen gefangen sind: fange die Ideen in feinmaschigen Netzen ein, flechte daraus Wortgebilde und tanze mit ihnen auf dem Seil.“
Sanft sagt Marie diese Worte und legt ihren Arm um Auroras Schultern,  streicht mit der Hand beruhigend über ihr Haar.
Aurora seufzt und legt ihren Kopf an Maries Schulter. Es ist ein herrliches Gefühl. Sie lässt ganz los. Plötzlich ist sie das Kind und Marie die Mutter. Wie gut das tut, diese Nähe, die Wärme, der Duft.
Noch einmal seufzt Aurora. Dann lässt sie alles los und entspannt sich.
Eine lange Weile sitzen beide auf der Wiese. Ganz…

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Was ich gerade lese…..

Rolf Lappert: „Nach Hause schwimmen“ ist die Geschichte von Wilbur, der gerne groß und stark wäre und unverwundbar, wie die Superhelden der Kinoleinwand. Aber am liebsten würde er gar nicht leben. Viele frühe Verluste von wichtigen Menschen musste er hinnehmen. Ob es der jungen Aimee mit ihrer charmanten Beharrlichkeit wohl gelingt, ihm beizubringen, dass er leben lernen muss, ob er will oder nicht?

Ausschnitt:
„Ich liege auf den Steinen, dem Turm im Meer aus Gras. Über mir sind Sterne. Mein Großvater kniet neben mir. Das Messer in seiner Hand schimmert im Licht des Mondes. Er hat Gott gerufen, aber die Stille um uns herum ist nicht nur die meines Traumes. … Ich spüre mich nicht. Ich bin ein Name in einem alten Heft, eine Skizze, ich liege zwischen den Zeilen, umgeben von Wörtern ohne Sinn. Mein Körper ist ein zittriger Kreis, meine Haut aus Tinte. Das Papier schluckt mich, es weht mich davon, an den Rändern glühend. … Der Wind treibt mich aufs Meer, im Wasser bekomme ich einen Leib und sinke schwer zu Grund. Die Fische rufen meinen Namen.“