Storytelling und die magische Begleitung (6)

Es geht weiter. Es ist natürlich nur die Rohfassung. Beim Erzählen könnte ich noch viel ausschmücken und ausbauen. Ich suche auch noch die richtige Erzählperspektive und einen geschlechtsneutralen Namen für die/den Held:in. Gut Ding will Weile haben.

Trau dich…du hast nichts zu verlieren

2. Die braune Tür

Die Kastanie schaute mir zu, während ich Käse und Brot zu mir nahm und vom frischen Wasser trank. Als ich fertig gespeist hatte, bat ich um einen kurzen Schlaf im Moos. Jetzt wo der Bauch voll war und der Tag beinahe seinem Ende zuging, wollte ich nur noch schlafen. Ich rollte mich im Moos zusammen, schloss die Augen und lauschte dem Wind, der in den Zweigen der Kastanie flüsterte. Sein Singsang ließ mich schnell einschlafen. Aus dem traumlosen Schlaf erwachte ich nach einer Weile mit einer dringenden Frage auf den Lippen:

„Was geschieht jetzt mit mir?“

Die alte Kastanie nickte weise und schaute mich ernst an.

„Gute Frage,“ antwortete sie, „du bist nicht ohne Grund hier. Du kannst mich Hilda nennen. Ich habe lange auf einen Menschen gewartet, der die blaue Tür öffnet und so meinen Raum betritt. Du wirst sieben magische Türen öffnen müssen. Mit jeder, die du durchschreitest, betrittst du einen neuen Raum, indem eine Aufgabe auf dich wartet.

Zu mir bist du gekommen, weil deine Neugier größer war als die Angst vor dem Unbekannten. Obwohl dein Herz geklopft hat, warst du bereit, etwas Neues zu wagen. Dazu gehört Mut.

Wenn du dich genug ausgeruht hast, dann wird sich in meinem Stamm eine braune Holztür zeigen, die dich in den nächsten Raum führt.“

„Werde ich je wieder zurück kehren in mein altes Leben?“

„Ja, das wirst du. Und du wirst nichts verlieren, im Gegenteil. Diese Reise wird dich bereichern, wenn du mutig genug bist, alle Aufgaben zu erfüllen. Du wirst am Ende über dich hinausgewachsen sein und mit neuen Blickwinkeln über den Horizont hinausschauen können.Geh jetzt! Hinter meinem Stamm steht ein Rucksack, nimm ihn mit. Reiseproviant und Wasser findest du darin, einiges an nützlichem Handwerkszeug und eine Zauberkastanie.“

Eine Zauberkastanie?“

“Eine Zauberkastanie! Nimm sie in die Hand, wenn du in Gefahr bist. Und solltest du jemals auf deiner Reise mutlos werden, rufe nach mir – Hilda, Hilda – schenke mir Mut!“

„Man wird mich vermissen und nach mir suchen!“

„Keine Sorge, wenn die Reise zuende ist, wirst du in dein Leben zurückkehren, und es wird so sein, als sei keine Zeit vergangen. Hier im Zauberwald hat Zeit keine Bedeutung. Und jetzt komm näher, ich möchte dir ein Zeichen auf die Stirn malen, damit jene, die dich erkennen sollen, sehen, dass ich dich schicke.“

Ich trat näher an den Stamm heran und Hilda malte mir einen blauglitzernden Stern auf die Stirn-.

Was hatte ich schon zu verlieren, nichts! Ich nahm den Rucksack und verabschiedete mich von Hilda. In diesem Augenblick sah ich die Tür in ihrem Stamm und zögerte nicht. Ich drückte den Türgriff herunter und sie öffnete sich lautlos. Wieder stand ich auf einer Schwelle und sah nichts. Langsam gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit. Schatten tanzten, der ganze Raum schien in Bewegung. Es flüsterte und raunte aus allen Ecken. Es knarrte, pfiff und fauchte. Es hörte sich sehr bedrohlich an, aber ich schloss die Augen und ging einen Schritt in den Raum hinein. Kein Wesen war greifbar. Wind umgab mich, hier verebbte gerade ein Sturm. Ich öffnete die Augen und erschrak. Ich stand auf einem Weg, der übersät war mit Zweigen, Blättern und Früchten. Auch kleine rote Äpfel fand ich. Ein Baumstamm lag quer über den Weg, Bäume waren umgeknickt oder entwurzelt. Die Bäume und Pflanzen hatten viel Holz gelassen. Sie ächzten und stöhnten. Ein breiter Baum war mittenentzwei gebrochen. Ich ging auf ihn zu.

„Oh, oh es tut so weh. Jetzt bin ich hin.“

Der Baum tat mir leid. Ich ging zu ihm und fragte:

„Lieber Baum, kann ich etwas für dich tun?“

„Ah, du trägst Hildas Zeichen. Bitte, schneide einen Reiser von mir ab, bewahre ihn gut und pflanze ihn an einem geschützten Platz in die Erde. Es ist sehr wichtig, denn ich bin die letzte meiner Art.“

“Das will ich gerne für dich tun.“ Ich öffnete den Rucksack und fand eine Heckenschere. Ich schnitt einen Reiser vom Baum ab, es war ganz leicht, und steckte ihn in meine Tasche. Es fühlte sich gut an und nahm mir das Gefühl, ohnmächtig und hilflos zu sein inmitten dieses vom Sturm verursachten Chaos.

„Ich danke dir mein Kind. Ich heiße Katalani. Sag das dem Reiser, wenn du ihn einpflanzt. Ich werde jetzt schlafen und meine Kräfte sammeln, und vielleicht wieder zusammenwachsen, um neue Triebe zu entwickeln. Leb wohl. Sei gesegnet auf deinem Weg.“

Katalani schloss ihre Augen und verstummte. Sofort hüllte sie ein feiner grüner Atem ein. Woher er plötzlich kam, ob der Baum selbst ihn ausstieß oder eine heilende Kraft sich des Baumes angenommen hatte, konnte ich nicht erkennen.

Inzwischen hatte der Wind nachgelassen, war nur noch ein leises Flüstern. Über den blauen Himmel eilten weiße Wolkenschafe. Eine Weile setzte ich mich auf den Baumstamm und sah mich weiter um. Ich sammelte Äpfel vom Boden auf und packte sie in den Rucksack. In einen biss ich hinein. Er schmeckt knackig, frisch und spritzig und im Nachgang angenehm süß. Ich fühlte mich jetzt weniger mutlos. Plötzlich blieb mein Blick an einem Reisigbündel hängen. Ich stand auf und schaute es mir näher an. Vor mir im flach auf dem Boden niedergestreckten Gebüsch hing ein Nest. Zwei blaue Eier mit goldenen Sprenkeln lagen darin. Sie waren noch warm. Wo waren die Vogeleltern? In der Umgebung war nicht eine einzige Vogelstimme zu hören. Nur der Wind säuselte in den Bäumen. Ich dachte nicht lange nach, wickelte jedes Ei vorsichtig in trockenes Gras und ein weiches Taschentuch. Die kleinen Pakete versteckte ich in meinen Jackentaschen.

11.11.20

Das kleine Stück Himmel
südöstlich ein schmaler Streifen
wie kann er so leicht sein und blau
mit weißen Wolken, die davon ziehen
wie eilige Segelboote
wo doch der Himmel ansonsten
dunkelgrau und bleiern ist
und darunter der Stadtverkehr
wie geduckt  vom schweren Gewicht
seine gewohnten Bahnen zieht
während in mir
eine Welt zu zerbrechen droht

ZERBRECHLICHER INHALT

Ich hab ja gestern von einem blauen Wal geträumt, wie platziere ich ihn jetzt in der gestrickten Geschichte? Wo kam der blaue Wal her? Ich habe schon mal einen gesehen, ich werde später darüber nachdenken. Jetzt muss ich stricken. Der blaue Wal taucht neben dem Boot auf und ab. Ich glaube, er passt auf das Boot auf. Noch weiß ich nicht, mit welchen Ziel das Boot aus Binsen unterwegs ist, kenne seinen Inhalt nicht.
Ha, ich werde mich mit dem blauen Wal verbinden. Dann kann ich auf seinem Rücken sitzen und ins Boot schauen, wenn er hoch springt. Da ich selbst die Geschichte erzähle, und genug blaues Garn habe, ist alles möglich. Ich springe also ohne lange zu überlegen mitten in den Ozean hinein, es ist ganz schön kalt und stürmisch, aber ich bin eine gute Schwimmerin und werde gleich vom Wal getragen. Woher ich das weiß, weil ich die Geschichte erfinde und meine Geschichten meist ein positives Ende haben. Wobei man sich mitunter darüber streiten kann, ob nun eine Ende wirklich positiv ist oder nicht.
Da taucht er auch schon auf, es ist ein kleiner Wal, aber groß genug um mich zu tragen. Ich blicke ihm in die Augen und flehe ihn an. Er versteht auch ohne Worte was ich möchte. Er schwimmt nah an mich heran und reicht mir seine Rückenflosse. Ich ziehe mich hoch auf seinen Rücken. Er springt und ich sehe. Im Boot liegt ein Baby. Das kann ich nicht alleine reisen lassen. Vom Rücken des Wales, lasse ich mich in das Boot gleiten. Das Baby ist winzig und schläft. Ich werde ihm zu schauen, wie es aufwacht. Ich lächle den Wal an. Er wird uns den Weg weisen, damit wir schnell in einem sicheren Hafen landen können.
Plötzlich erwache ich, bin beim Tagträumen wohl eingenickt. Jetzt habe ich Hunger. Zum Glück habe ich gestern vorgekocht. Mir ist von meinem Ausflug in den Ozean ganz schön kalt. Eine dicke Suppe und starker schwarzer Tee mit viel Kandis werden mich aufwärmen.
Da war doch noch was. Aber was, ach ja der Wal, ich habe schon mal einen gesehen. Das war auf einer Kreuzfahrt im Norden. Ich muss mal die Fotos durchsehen, denn ich habe ihn fotografiert, wenn ich mich recht erinnere.

Nachtblau mit einem Hauch von Violett

(blau, weil es meine Lieblingsfarbe ist; natur, weil ich es natürlich liebe; Seemannsgarn, weil ich als Kind Klaubautergeschichten liebte)

Der Korb steht vor der Tür. Sie kann ihn nicht übersehen. Gerade kommt sie vom täglichen Spaziergang im Wald zurück, wie jeden Tag, so gegen sechzehn Uhr. Neugierig schaut sie in den Korb. Es liegen Wollknäuel darin und obenauf ein Zettel: „Strick eine Geschichte aus mir!“ steht darauf, in gleichmäßigen Druckbuchstaben ohne Schnörkel, geschrieben mit Tinte auf weißem Papier. Es beeindruckt und freut sie, dass da tatsächlich jemand Papier und Tinte benutzt hat. Irgendjemand, geht es ihr durch den Kopf, muss wissen, wann sie nachhause kommt, dass sie gerne strickt, besonders Socken, denn dabei kann man abtauchen in ganz andere Welten und dass sie gerne Seemannsgarn spinnt. Lieber sagt sie aber: „Ich spinne Seefrauengarn.“
Das Sockenstricken ist also für sie fast immer eine willkommene und entspannte Möglichkeit aus dem Alltag zu flüchten. Besonders aber, wenn der Tag stressig und die Arbeit mal wieder ätzend war.
Noch bevor sie den Haustürschlüssel aus der Jackentasche holt, greift sie in den Korb und zieht einen dicken Strang blauer Wolle hervor, genau jenes Blau, das sie über alles liebt: Nachtblau mit einem Hauch Violett.
Und schon geht es los. Sie schafft es nicht sofort, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, um die Türe zu öffnen. Die Bilder kommen einfach.
Sie sieht den nördlichen Ozean an seiner tiefsten Stelle. Jodhaltige Luft kitzelt ihre Nase. Hohe Wellen rollen in den bleigrauen Himmel hinein. Ein kleines Boot aus Binsen schaukelt mit ihnen mit. Sie kann es kaum fassen und begreifen, aber das kleine Boot hält wacker seinen Kurs. Es kippelt nicht, so als wisse es längst, dass es bald Land sichten und dort einen ruhigen Hafen finden wird. Es gelingt ihr noch nicht, in das Boot hinein zu schauen, um zu sehen, was sich dort versteckt.
So kehrt sie erst einmal zurück, denn es ist kalt draußen, öffnet die Haustür und betritt den Flur. Den Korb nimmt sie mit. Nachdem sie abgelegt hat betritt sie die Küche und kocht sich starken Kaffee, obwohl sie weiß, dass es dazu eigentlich schon zu spät ist. Die Nacht wird schlaflos bleiben.
Aber das ist ihr jetzt egal, denn wenn Frau nicht schlafen kann, dann kann sie träumen und Geschichten spinnen.