Selbstbildnis 9

Heckenleben

Mich hat die Hecke geschlagen. Schon lange beschäftige ich mit dem Begriff “Hecke”, rein gedanklich, bildlich: die Hecke als Lebensraum, als Ab-und Eingrenzung, als Barriere nach draußen, die Hecke im Märchen, wie Dornröschen. Immer hatte ich dabei das Gefühl, der Begriff in seiner Bildhaftigkeit hat eine besondere Bedeutung für mein Leben. Ich nannte mich Dornrosis, schrieb Heckengeschichten, wie “Dornrosis und die Hecken”. Jetzt plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: es gibt sie, die tatsächliche Hecke um den Garten meines Elternhauses herum, und sie ist, wie mir gerade deutlich geworden ist, ein psychologisches Symbol für die Struktur meiner Familie. Im Augenblick ist sie Zankapfel im Umgang mit den Nachbarn, aber auch zwischen uns Geschwistern. Was äußerlich beinahe wie eine Bagatelle erscheint, hat tiefgründige Wurzeln und führt bei genauerer Betrachtung weit in die Geschichte der Familie zurück. Ich werde erzählen!

Was ist das mit der Liebe?

Zeigt sie sich darin, dass du meine Fragen kennst und ich dir antworte bevor du fragst? Ich kannte dich einmal besser in allen geliebten und gelebten Jahren. Ja es gab diese Zeit , als der eine um den anderen wusste ohne zu fragen. Da war das Fühlen stimmig und überhaupt das Sein oft einstimmig. Wir gingen unseren Weg, unsere Wege wie eineiige Zwillinge.
Nach der großen Gemeinsamkeit, dem ein Herz und eine Seele sein, kam die Abgrenzung. Ich wollte einmal wieder mich spüren, ich meine, nicht uns sondern das vom uns, was meins ist. Es war da doch ein großer Gefühlsozean, in dem ich langsam verschwamm und aufhörte ich zu sein. Aber was war meins und was war deins?
Eine Grenze musste her, eine Grenze, die mein Land umschließt, mein Land in das ich mich zurück ziehen kann und in dem ich mich selbst wahrnehmen kann ohne von dir gestört oder unterbrochen zu werden, ein Land in dem ich entscheide, ob ich die Tür, das Fenster zu dir öffne oder nicht. Aber natürlich liebte ich dich immer noch, aber nicht mehr um den Preis, mich dabei zu verlieren.
Du bist verstimmt und gekränkt von dannen gezogen, und ich habe nach und nach gar nichts mehr begriffen. Unter Liebe verstand ich etwas anderes. Lieben heißt doch, mich anzunehmen, um dich anzunehmen. Du hast begonnen an meiner Liebe zu zweifeln. Scheinbar war Liebe für dich Auflösung und Einheit. Für mich aber nicht.
Ich frage dich, wie kann ich für dich etwas sein, wenn du nicht mehr wahrnehmen kannst, was ich bin? Wie kannst du für mich etwas bleiben, wenn du mir nicht meinen Raum lässt, in den ich mich zurückziehen kann, um meine Grenzen auszuloten, um mich und meine Konturen zu spüren?
Reibung braucht es, aber wie soll sie entstehen, wenn es die Reibungsstellen gar nicht gibt, weil meine/ deine Grenzen sich aufgelöst haben im Lieben? Nein, da muss etwas falsch sein. Oder bin ich falsch? Nehme ich mich und mein ICH zu wichtig?
Ganz gleich welche Frage sich da an diesem Punkt entwickelt, ich drehe mich im Kreis.
Also lasse ich es und sorge für mein eigenes Land, befestige und bewache es.
Es gibt sie immer noch, die Tore, an denen du anklopfen kannst. Du bist nicht mein Feind, nur manchmal, wenn du die Grenzen überschreitest und dir mein Land einverleiben willst. Ich liebe dich und ich möchte sehen, wie du dein eigenes Land bestellst. Dann können wir uns gegenseitig besuchen und aneinander freuen, unsere Erfehrungen austauschen uns gegenseitig befruchten oder für einen Augenblick im Niemandsland zwischen unseren Ländern alle Grenzen fallen lassen.
Eins aber will ich nicht mehr, niemals mehr: deine Gedanken lesen. Ich habe meine eigenen.

Meiner Liebe zu dir nimmt das nichts weg.