Auf der Suche nach Schnee 2

In der Nacht hat der sich der Spalt über den Worten geschlossen und sie unter frisch aufgeworfener Erde begraben.
Wer sich der Erde nähert, hört sie noch wispern. Die Wolken lösen sich auf und verregnen den Tag. Es verschwimmen die Worte, die neugierig nach außen schlüpfen. Kleine Rinnsale und Kanäle schlängeln sich durch die braunen Felder, Gedanken tauchen auf und ab, fließen.
Wie gut die Erde riecht.
lasst uns schweigen, Liebste. Diese Zeit lebt ohne Worte und lässt der Sprache Raum. Im Stillwerden spüren wir den Dingen auf den Grund, fühlen ihr Sein, entwickeln und richten uns neu.
Bis der Regen zu Schnee wird, lasst uns die Worte meiden, Liebste. Manchmal führen sie nur weg von uns. Im Atmen der Welt liegt Größe, und wir sind Teil von ihr.

Auf der Suche nach Schnee 1

Nicht die Nacht hatte dem Tag meine Worte gestohlen. Kein Wind entführte meine Lieder in ein anderes Land. In der blauen Stunde zwischen Tag und Nacht hatte sich ein Trichter geöffnet. Alles schlitterten hinein, Worte, Töne und Klänge, als sei eine Rutschpartie angesagt.
Es ging schnell. Kaum schmeckte ich den Beerengeschmack der Worte im Mund, schon sprudelten sie perlend über die Lippen in den dunklen Trichter hinein. Lautlosigkeit und das Verstummen der Zeit ließen mich erstarren.
In dieser Bewegungslosigkeit war mir, als sei ich ein Baum im Winterwald. Der Gedanke daran, wo die Sprache geblieben war, verflüchtigte sich über Wurzeln und Zweige und mischte sich mit dem Atem der Zeit. Da blieb Fühlen nur und Spüren.

Nicht nur der Briefe wegen

AURORA erhebt sich aus der Nacht und breitet ihre Schleier aus. Sie ist erwacht aus tiefen Schlaf und füllt mit Energie den Tag.Mit federnden Tanzschritten betritt Aurora die Szene. Sie ist durch das Loch in der Hecke geschlüpft und steht nun vor einem bunten Zirkuszelt.

Wie ist sie nur hierher gekommen? Eben noch war sie zwischen den Zeilen eines Buches eingefangen. Ihre zierliche Figur streckt und reckt sich. Ganz steif fühlen sich die Glieder an. Sie schüttelt Buchstaben aus den weiten Ärmeln ihres bunten Flickenkleides. Selbst aus den langen Haaren purzeln Buchstaben, Silben, ja ganze Worte.

Sie schüttelt sich, so als sei sie ein Vogel, der sein Gefieder lüftet. Ja, sie plustert sich auf, wächst. Erst hebt sie elegant das rechte, dann das linke Bein, streckt und beugt das Fußgelenk und jeden einzelnen Zeh, der mit dem Fuß in ihren schwarzen Seiltänzerinnenschuhen steckt.

Sätze wollen ihr nicht über die Lippen tanzen, aber ein Lächeln strahlt aus dem alterslosen Gesicht. 

„Ich bin angekommen!“ denkt sie bei sich und hat schon die zwei gegenüberstehenden Bäume entdeckt, zwischen denen sie ihr Seil spannen kann. Es juckt in den Beinen. Am Liebsten möchte sie sofort. Zu lange schon war sie untätig und ohnmächtig im Buch gefangen.

„Na klar, ein Mensch hat sie erfunden,“  aber sie ist lebendig geworden und wollte ein Leben außerhalb der Gedanken und Schriftzeichen der Autorin leben. „Wie kommt ein Mensch eigentlich dazu, seine lebendig gewordenen Gedanken zwischen Buchdeckeln einzusperren?“ fragt sie sich und geht auf den Eingang des Zirkuszeltes zu.

Sie muss ihren Auftritt planen und erst einmal heraus finden, ob jemand im Zelt ist – sie hört nichts außer dem Blätterrauschen und dem Plätschern eines Baches in der Nähe – und ob sie hier erwünscht ist. In den tiefen Taschen ihres Kleides findet sie weiße Schminke, Jonglierbälle, ein robustes Seil, viele bunten Bänder, um das Haar zu bändigen und vieles mehr. Den Balancierschirm mit den Perlengehängen an den Schirmspitzen hat sie unter den Arm geklempt.

 

Vielleicht ist AURORA im Augenblick so fest in meinen Gedanken, weil ich im Urlaub ein Zirkusbuch gelesen habe: „Wasser für den Elefanten“ von Sara Gruen. Es wurde auch verfilmt.

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Frau Mai, die Dritte….5. Kapitel

Nun ist der Mai schon wieder zuende. Frau Mai kuriert noch immer ihren Schnupfen aus und verflucht dabei, dass sie eine Dschinnin ist und keine Mutter sie umsorgt. … Aber in ihrem Versteck heckt sie schon wieder etwas aus.
Sollen doch alle denken, sie sei eine grüne Raupe im Bild. Sie allein weiß, welche Macht sie entfesseln kann, wenn sie nur will.
Jedenfalls wird sie dem Mai ade sagen – was schert der sie schon, sie ist ja ein zeitloses Wesen – und einfach  in den Juni hinein spazieren. Schon fühlt sie ihre Kräfte wachsen. Jeden Tag nun wird sie ihre Erfinderin piesacken, bis diese endlich den Stift in die Hand nimmt und ihre Geschichte weiter erzählt. Sie wird kitzeln, kratzen und beißen und sie wird einen schrillen Ton aussenden. Das ist sowieso das Allerbeste, denn die Erfinderin ihrer Geschichte hat sehr empfindliche Ohren.
Frau Mai lacht sich beinahe kaputt, aber noch will sie still sein und ihre Pläne weiter aushecken.

Auf der Schwelle

Frau Mai ist verschnupft. Sie hat sich etwas eingefangen. Wo bloß, da war doch niemand. Der Kopf dröhnt, die Glieder schmerzen – eigentlich ungewöhnlich für eine ururalte Dschinnin. Aber natürlich, sie steckt in diesem irdischen Körper, und einstweilen kann sie aus dieser Hülle nicht heraus.
Von dem Getöse vor der Galerietür bekommt sie nichts mit, so elend fühlt sie sich plötzlich. So nimmt sie ein Blütenblatt, um sich darin einzuwickeln, damit sie aufhört zu zittern und horcht mit gespitzten Ohren dem Schmerz in ihrem Kopf zu.
„Kruzifixkreuz, verdammtes Geschick! Niemand da, der mich umsorgt. Elend, immer die eigene Mutter zu sein. Als ob ich die brauche, eine Dschinnin doch nicht.“ Sie wälzt sich hin und her. Das Blatt will nicht recht passen. Und nun beginnt auch noch der Papagei zu grölen: „Guten Morgen, Zuckerschnäuzchen.“ Frau Mai hat nicht mehr die Kraft, ihm das Genick zu brechen. Immerhin, sie klebt nicht…

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Wenn ich zaubere, dann

will ich nicht reden, nur ein Fragezeichen sein, dem fraglos ein Ausrufezeichen folgt,wölben, und den Po bitte locker nach hinten strecken – so entsteht ein weibliches Fragezeichen. Sind Frauen Fragen und Männer Antworten? Oder sind Frauen Fragen, die Männer ihnen in den Mund legen?

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Oder sind Männer Antworten, die Frauen ihnen längst gegeben haben? Punkt um, sagt das Ausrufezeichen, während das Fragezeichen sich herauswindet, punktgenau!

GLEITEN

wäre das Wasser nicht so tief
und endlich richtig Winter
mit dickem Eis
ich müsste nicht mühsam Brücken bauen
um die Worte hinüber zu tragen
damit sie dich kitzeln, berühren
herausfordern könnten
Ich würde sie mühelos gleiten lassen
mit einer Leichtigkeit
die an Seiltänzerinnen erinnert

Marie trifft Aurora

„Ruhig!“ flüstert Marie Aurora zu.
„Ruhig, wie willst du in Worte fassen, was dich gerade berührt und beseelt, wenn du nicht inne hältst?“
Aurora horcht und bleibt stehen, obwohl es sie schon wieder weg zieht.
Wohin eigentlich? Hier ist doch alles!
„Folge den Gedanken , nicht den tanzenden Füßen, die in roten Schuhen gefangen sind: fange die Ideen in feinmaschigen Netzen ein, flechte daraus Wortgebilde und tanze mit ihnen auf dem Seil.“
Sanft sagt Marie diese Worte und legt ihren Arm um Auroras Schultern,  streicht mit der Hand beruhigend über ihr Haar.
Aurora seufzt und legt ihren Kopf an Maries Schulter. Es ist ein herrliches Gefühl. Sie lässt ganz los. Plötzlich ist sie das Kind und Marie die Mutter. Wie gut das tut, diese Nähe, die Wärme, der Duft.
Noch einmal seufzt Aurora. Dann lässt sie alles los und entspannt sich.
Eine lange Weile sitzen beide auf der Wiese. Ganz ruhig wird Aurora. Schließlich steht sie auf, streckt und reckt, schüttelt und rüttelt sich.
Aus Haaren und Gewändern purzeln Buchstaben.
Marie sieht zu, wie Aurora die Buchstaben aufsammelt, Sätze daraus bildet und ein Netz daraus wirkt. Als es fertig ist geht Aurora zu den beiden Bäumen, zwischen denen das Seil gespannt ist. Sie hängt das Netz darunter, nimmt ihren kleinen regenbogenbunten Schirm und steigt auf das Seil. Die Sonne ist gerade aufgegangen, Vögel zwitschern und der Himmel ist blassblau.
Marie lächelt.
Sie lauscht dem Gesang, der sich aus Auroras Netz zu ihr herüber schlängelt.
Während Aurora auf dem Seil Geschichten tanzt und dem Himmel ganz nah zu sein scheint, steht Marie auf, winkt noch einmal und kehrt zurück zwischen die Seiten des Buches, in dem ihre eigene Geschichte geschrieben steht.
Im Buch tanzen die Buchstaben. Sie malen eine neue Seite aus. Eine Geschichte verändert sich.

Auch das ist AURORA

Mit federnden Tanzschritten betritt Aurora die Szene. Sie ist durch das Loch in der Hecke geschlüpft und steht nun vor einem bunten Zirkuszelt.

Wie ist sie nur hierher gekommen? Eben noch war sie zwischen den Zeilen eines Buches eingefangen. Ihre zierliche Figur streckt und reckt sich. Ganz steif fühlen sich die Glieder an. Sie schüttelt Buchstaben aus den weiten Ärmeln ihres bunten Flickenkleides. Selbst aus den langen Haaren purzeln Buchstaben, Silben, ja ganze Worte.

Sie schüttelt sich, so als sei sie ein Vogel, der sein Gefieder lüftet. Ja, sie plustert sich auf, wächst. Erst hebt sie elegant das rechte, dann das linke Bein, streckt und beugt das Fußgelenk und jeden einzelnen Zeh, der mit dem Fuß in ihren schwarzen Seiltänzerinnenschuhen steckt.

Sätze wollen ihr nicht über die Lippen tanzen, aber ein Lächeln strahlt aus dem alterslosen Gesicht.

„Ich bin angekommen!“ denkt sie bei sich und hat schon die zwei gegenüberstehenden Bäume entdeckt, zwischen denen sie ihr Seil spannen kann. Es juckt in den Beinen. Am Liebsten möchte sie sofort. Zu lange schon war sie untätig und ohnmächtig im Buch gefangen.

„Na klar, ein Mensch hat sie erfunden,“  aber sie ist lebendig geworden und wollte ein Leben außerhalb der Gedanken und Schriftzeichen der Autorin leben. „Wie kommt ein Mensch eigentlich dazu, seine lebendig gewordenen Gedanken zwischen Buchdeckeln einzusperren?“ fragt sie sich und geht auf den Eingang des Zirkuszeltes zu.

Sie muss ihren Auftritt planen und erst einmal heraus finden, ob jemand im Zelt ist – sie hört nichts außer dem Blätterrauschen und dem Plätschern eines Baches in der Nähe – und ob sie hier erwünscht ist. In den tiefen Taschen ihres Kleides findet sie weiße Schminke, Jonglierbälle, ein robustes Seil, viele bunten Bänder, um das Haar zu bändigen und vieles mehr. Den Balancierschirm mit den Perlengehängen an den Schirmspitzen hat sie unter den Arm geklemmt.