7.3.
Lieber Freund,
meine Seele weint und das Herz tut weh. Manchmal lache ich trotzdem, denn man kann nicht immer traurig sein und vor Wehmut ganz schwach. Und dann schaue ich zum Fenster hinaus und sehe, dass der Apfelbaum treibt und die Osterglocken mir ihr freundliches Gelb schicken. Ich sehe die Veilchen unter den Heckensträuchern und viele bunte Krokusse. Ich denke an Ostern und schmücke mein Haus mit Blumen. Dann werde ich ganz leicht, öffne weit das Fenster und lasse meinen Bruder den Wind hinein. Ich mache mir Musik, lausche verschwimmenden Klängen und tanze selbstvergessen bis ich erschöpft bin.
Und dann höre ich die Amsel singen, so süß, dass mir das Herz schwer und leicht zugleich wird, und die Tränen fließen. Manchmal weiß ich nicht, ob vor Glück oder vor Kummer.
Verstehst du mich? Ich sehne mich nach etwas, dass ich nicht bekommen werde, und ich schaffe es nicht, mit mir ins Reine zu kommen. Manchmal hasse ich mich dafür, schimpfe mit mir, aber mein Herz lässt sich nicht betrügen. Es lässt sich nichts ausreden und es vergisst nicht. Verstehst du mich? Ich verstehe mich nicht: es ist Frühling, die Luft mild und die Tage sind schon länger.
Und ich? Ich bin ein trauernder Kloß, werde älter, meine Jugend verschwindet. Ich frage mich, wie lange noch das Seil mich trägt. Ich muss raus aus diesem geschlossenem Kreis, noch einmal etwas neues wagen. Lieber würde ich mit einem Gefährten gehen, aber da ist niemand.
Kennst du diese verzehrende Sehnsucht, nach etwas, von dem du noch nicht einmal weißt, was es ist? Du gibst ihm tausend und einen Namen, und keiner passt wirklich. Alles viel zu ungenau. Niemals schafft die Sprache es, auszudrücken, was genau ein Mensch empfindet.
Ich rolle als Trauerkloß übers Seil – immerhin muntert mich diese Vorstellung auf – das hat was, deine Aurora
Oh ja, ich verstehe dich richtig gut, du schreibst, wie es mir seit vielen Wochen geht, nun hat der Apfelbaum schon Früchte, die Osterglocken wurden von den Königskerzen abgelöst und weil auch ich nicht immer nur weinen kann, freue ich mich, dass auch du den Wind Bruder nennst, ich nenne ihn Brüderchen…
liebe Grüße
Ulli
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Manchmal ist er ein Bruder und manchmal ein Brüderchen.
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